Freitag, Oktober 25, 2013

Gedanken zu einer Schriftstelle

[Von Bastian]
Vor ein paar Tagen gab es wieder eine meiner Lieblingslesungen: die Schlacht gegen Amalek.

Als Amalek kam und in Refidim den Kampf mit Israel suchte, sagte Mose zu Josua: Wähl uns Männer aus und zieh in den Kampf gegen Amalek! Ich selbst werde mich morgen auf den Gipfel des Hügels stellen und den Gottesstab mitnehmen. Josua tat, was ihm Mose aufgetragen hatte, und kämpfte gegen Amalek, während Mose, Aaron und Hur auf den Gipfel des Hügels stiegen. Solange Mose seine Hand erhoben hielt, war Israel stärker; sooft er aber die Hand sinken ließ, war Amalek stärker. Als dem Mose die Hände schwer wurden, holten sie einen Steinbrocken, schoben ihn unter Mose und er setzte sich darauf. Aaron und Hur stützten seine Arme, der eine rechts, der andere links, sodass seine Hände erhoben blieben, bis die Sonne unterging. So besiegte Josua mit scharfem Schwert Amalek und sein Heer.
(2.Mose 17,8-13)

Die nachfolgenden Gedanken hierzu sind rein privat und haben keinerlei Anspruch auf theologische Richtigkeit.
Ich mag diesen Text, weil er mir erklärt, wie ich Formen und ihre Einhaltung in der Kirche verstehen kann.
Einmal geht es natürlich um die Rolle Gottes in den Herausforderungen des Lebens: solange er angebetet wird, solange man die Hände zu ihm erhebt, ist man gesegnet. Ganz praktisch gesegnet: der Erfolg, hier in der Schlacht, ist konkret von Gott abhängig.
Dann geht es um das Thema Feind. Der Feind der Freunde Gottes ist das Böse. Nicht, das somit alle Amlekiter als böse gekennzeichnet wären! Doch der Kampf, dem sich Gottes Volk stellen muss und den es sich nicht selbst gesucht hat, ist existentiell. Ein Bild für die Begegnung mit dem Bösen, wie jeder es kennt und erlebt: der tägliche Kampf mit dem eigentlich übermächtigen Gegner. Das Böse wurde von Christus am Kreuz besiegt. Die ausgebreiteten Arme des Mose sind ein Vorblick auf die ausgebreiteten Arme Gottes am Kreuz. Sogar 2 Menschen stehen unter diesem Kreuz und (unter)stützen Mose. Aus christlicher Sicht bekommt diese Szene eine tiefe Bedeutung, denn der Weg, auf dem Gottes Heil hier zu seinem Volk kommt, wird bereits vorab sichtbar. Den Sieg hat Gott errungen und wir kämpfen mit ihm zusammen. So wird der Feind bezwungen.

Am auffälligsten jedoch erscheint mir die Tatsache, dass Gott hier eine Form wünscht. Er fordert nicht, dass Mose betet. Er fordert kein besonderes Vertrauen der Soldaten. Er will erhobene Hände.
Als Bild des Kreuzes wird dieser Wunsch verständlich, doch was passiert, als Mose müde wird? Interessanterweise wird er nicht von Gott gestärkt, sondern er bekommt Stützen. Es ist gar nicht mehr Mose, der anbetet – der ist körperlich am Ende. Was aufrechterhalten wird, ist die Form, in der er gebetet hat. Und darauf liegt der Segen. Auf der Äußerlichkeit, nicht auf dem Inhalt.
Ich habe mich oft gefragt, was das soll. Es schien mir, als sage Gott: „Egal, was ihr denkt und fühlt, egal, ob ihr am Ende seid – es soll wenigstens aussehen, als ob ihr betet.“ Gott - ein Formalist? Das kann es nicht sein. Ist es ein Ansporn, nicht aufzugeben, auch wenn es nur noch mit Hilfe geht? Sicher auch. Doch ich denke, da ist noch mehr.
Gott will, dass wir begreifen, welche Möglichkeiten er uns bietet, wenn wir ihn wirken lassen. Dazu geht er oft einen ganz praktischen Weg: er führt uns an unsere Grenzen und darüber hinaus. Instinktiv betrachten wir das, was wir selbst vermögen, als das Machbare. Wenn das versagt, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns selbst loszulassen. Erst das, was uns selbst unmöglich war, erkennen wir wirklich als sein Werk. Der übermächtige Feind wird letztlich von Gott besiegt – das wir hier jedem klar. Und deshalb wird sogar das Zeichen der erhobenen Hände inhaltsleer und zur Form: Gott zeigt, dass er es ist, der rettet. Ein starker Mose, der die Schlacht durchbetet, wäre der Held gewesen. Die Kraft Gottes wäre gleichsam von ihm beschworen worden. Doch daraus wurde nichts: Mose war zu schwach.

Die Form wurde in dem Moment wichtig, in dem es für den Mensch zu groß wurde. Sie wurde zum Zugang zu dem, was größer ist, als wir. So erlebe ich es auch in der Kirche: die Form erschließt uns das, was wir ohne sie nicht erreichen könnten, weil wir selbst zu schwach sind. Sie ist die Tür. Wenn die Kirche Formen hat, die wir einhalten sollen, hält sie damit die Tür offen ins Reich Gottes. Nicht, weil dieses Reich förmlich wäre, sondern weil die Form uns dafür öffnet, dass hier etwas stattfindet, was nicht von uns ist. Die Form lenkt den Blick von uns weg und hin auf Gott.
Dabei macht die Schlacht gegen Amalek mir klar: für sich ist ein Mann, der auf einem Stein sitzt und die Arme auf die Schultern von zwei anderen legt, nichts spektakuläres, doch der Sieg war es. Mose hätte – wie vielleicht mancher modere Theologe – sagen können, er könne nicht mehr, das Ausbreiten der Arme habe als Zeichen jedoch keinen Sinn, wenn es den Betenden überfordere, und eine leere Form als Gehorsam hinzustellen beleidige Gott und den Menschen. Doch so hätte er das Geschehen auf sein eigenes Vermögen reduziert. Er hätte Gott nicht verstanden, stattdessen auf sich selbst geschaut und den Segen verpasst. Sein Volk hätte die Schlacht verloren.
Mose jedoch ließ sich die Arme stützen, weil er etwas von Gott erwartete, das er selbst nicht hatte. Er hielt die Form nicht im ihrer selbst willen, sondern um des Sieges willen. Gerade die Tatsache, dass Mose am Ende war, zeigt: die Form, der Ritus – sie werden von Gott geheiligt und erfüllt, nicht vom Menschen.

Ich erlebe derzeit zwei Fallen, in die man hier tappen kann. Eine ist, die Form zwar als Fenster zu Gott zu erkennen, dabei jedoch zu vermuten, dass man es weglassen könne, sobald man Gott zu erblicken glaubt. Doch so vergisst man seine eigenen Grenzen: der Tag der Schwäche kommt. Die andere ist, nicht zu erkennen, dass es um Gott selbst geht, und stattdessen die Form selbst zu heiligen. Auch hier hätte man das Fenster zu Gott auf das eigene Vermögen reduziert. Man würde den Rahmen putzen, anstatt durchs Glas zu schauen. Hätte Israel aus seinem Erlebnis den Schluss gezogen, Mose müsse flankiert von zwei Männern auf einem Stein sitzen, um Gott zu gefallen – Gott hätte wohl wieder eingegriffen.

2 Kommentare:

  1. Toll! Sehr philosophisch. Und für mich auch einleuchtend. Schöner Gedanke, wie die Gebetshaltung Mose, gestützt von zwei Menschen, auf das künftige Kreuz hinweist!
    Danke für den Stoff zum Nachdenken!
    "Die Kraft des Geistes ist nur so groß als ihre Äußerung, seine Tiefe nur so tief, als er in seiner Auslegung sich auszubreiten vermag."(F.W.Hegel)

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  2. Whow gefällt mir gut, sehr gut und wohl wahr!

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