Samstag, Dezember 17, 2016

Von meinem Recht, dagegen zu sein.

In der Nacht, als Trump siegte, sangen vor dem Weißen Haus Chöre gegen Ausgrenzung und Rassismus. Sie sorgten damit bei mir für einen Schub des Nachdenkens, dessen Ergebnis dieser Artikel ist: warum, fragte ich mich, stellen sich da bei mir die Nackenhaare auf, obwohl ich weder Rassist bin noch irgendjemanden ausschließen möchte? Was ist daran falsch, oder erscheint mir zumindest so?

Das Problem, so scheint mir, ist, dass in weltanschaulichen Fragen heute keine Meinung mehr vertreten wird, sondern eine Nicht-Meinung. Genauer noch: es ist MEINE Nicht-Meinung, für die andere eintreten. Sie vertreten nicht ihre Meinung, sondern fordern, dass ich keine habe oder sie zumindest für mich behalte. Nicht mehr bestimmte Meinungen werden bekämpft, sondern Meinungen an sich. Sind nämlich persönliche Einstellungen erst Privatsache, entfallen alle Reibungspunkte in der Gesellschaft. Dann gibt es keinen Konflikt mehr und es herrscht Frieden. Weniger nett formuliert ist es die Logik jeder Diktatur: solange alle die Schnauze halten, herrscht Ruhe.
Folglich darf ich beispielsweise für mich entscheiden, niemals abzutreiben, aber ich darf dies von niemandem fordern. Schon die Äußerung, dass ich Abtreibungen möglicherweise für falsch hielte, darf nicht sein. Selbst die Idee, dass Kinder etwas Schönes sind, könnte jemanden stören, der sich gegen sein Kind entschieden hat, und darf folglich nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Nichts erscheint zu übertrieben, als dass es nicht Realität werden könnte: „Dear Future Mom“, ein Spot, der Eltern von Kindern mit Down-Syndrom ermutigen soll, darf in Frankreich nicht im Fernsehen gezeigt werden. Gerichtliche Begründung: Der Spot könne auf Frauen verstörend wirken, die abgetrieben haben.
Hier stehen zwei Rechte gegeneinander: das tatsächliche Recht zu reden und das vermeintliche, nichts hören zu müssen. In meiner Jugend kursierte ein dummer Spruch: Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern, aber niemand hat die Pflicht, ihm zuzuhören. Heute ist daraus eine noch viel dümmere Realität erwachsen: jeder Hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern, solange sichergestellt ist, dass niemand sie anhören muss. So werden Meinungen jeder Art immer weiter aus der Öffentlichkeit verbannt. In diesem Licht gesehen bekommen positive Aussagen plötzlich einen Beigeschmack. Wenn ein Chor singt, man solle niemanden ausgrenzen, meint er, ich dürfe nicht sagen, dass ich gegen ausgelebte Homosexualität sei. Aus "grenze nicht aus!" wird: "Schweig!". Daher die stehenden Nackenhaare.
Da Meinungen an sich schlimm sind, setzt man sich nicht mit ihnen auseinander. Stattdessen bekämpft man die, die eine Meinung haben, als Ursache des Übels. Nicht für Abtreibung wird demonstriert, sondern gegen Abtreibungsgegner. Nicht für die Rechte Ausgegrenzter gehen die Leute auf die Straße, sondern gegen Rassisten. Brücken werden gebaut, um die gespaltene Gesellschaft wieder zu einen. Doch die Brücken sind verlogen: sie tragen nur Nackte, die ihre Meinung nicht mitnehmen. Jeder ist willkommen, solange er die Schnauze hält; die geeinte Gesellschaft ist meinungsfrei. Nur ein Chor ist erlaubt: der, in dem gegen Meinungen polemisiert wird. Und jeder, der mit anderen Menschen eine Meinung teilt, gilt als Populist.
Es herrscht Angst, und es ist die Angst von Weicheiern. Angemessen wäre es, mir in Diskussionen zu sagen, dass ich Blödsinn rede, und zwar aus folgenden Gründen: erstens, zweitens, drittens. Das bringt etwas. Doch was ist von Menschen zu halten, die es nicht ertragen, dass ich auch nur beginne, in ihre Richtung Einwände vorzubringen? Die bei der bloßen Möglichkeit in Panik geraten und da ein Gesetz gegen machen wollen? In „1984“ fällten wenigstens noch grausame Menschen die Urteile über Meinungsverbrechen, die wussten, was sie taten – heute sind es dümmliche Mimosen, die aus lauter Panik vor dem, was sie selbst tun, die Augen verschließen. Um nicht erkennen zu müssen, dass es um Meinungen geht, flüchten sie sich in die Idee, es seien Krankheitsbilder: der Begriff „Homophobie“ spricht Bände. Dass damit die absurde Situation entsteht, dass eine Angst strafbar gemacht werden soll, ist ihnen egal. Wenn nur die andere Meinung keine Meinung mehr ist, sondern eine Erkrankung, und damit auf jeden Fall falsch. Und wenn die eigene Meinung nur endlich hinter der Idee verschwindet, sie sei keine Position unter anderen, sondern alle Andersdenkenden seien einfach krank. „Homophobie“ schafft keinen Konflikt, sondern ist der verzweifelte Versuch, einen zu vermeiden.
Und alles, was da nicht mitspielt, wird in Panik niedergebrüllt, intellektuell verlacht, verachtet oder sonstwie auf Distanz gehalten. Denn was man selbst vertritt, ist nicht etwas, das man auch anders sehen könnte. Man selbst vertritt die vermeintliche Grundlage der Gesellschaft überhaupt, Gesundheit, Freiheit. Nur eines ist wichtig: keine Auseinandersetzung mit anderen Meinungen, denn das ist gefährlich. Memmen! Sie folgen jedem, der ihnen erklärt, man müsse zu diesem oder jedem keine Meinung haben.
Ein anständiger Gegner hat eine Rüstung, doch innen ist er weich. So kann man ihn treffen und verwunden, doch man muss geschickt dazu sein. Und man kann die Rüstung ausziehen und sich mit ihm anfreunden. Die Gegner heute jedoch sind außen weich und offen für alles. Entsprechend werden sie von allem und jedem schwer getroffen und sind so verwundet, dass sie vor jeder Berührung Panik haben. Innerlich aber sind sie so verhärtet, dass sie nur noch äußerlich zu Freundschaften fähig sind. Mit ihnen zu ringen muss bedeuten, sie innerlich wieder weich zu machen. Irgendwie in den Bereich vorzudringen, in dem sie ihre Eigenschaften weggesperrt haben, um die Nicht-Eigenschaften nicht zu stören, wo sie ihr Geschlecht knechten, um ihr Gender vor Zweifeln zu schützen. Den ganzen anonymen Mitläufern der aggressiven Masse von Meinungsgegnern fehlt vor allem eines: Ermutigung zu sich selbst.
Das einzige, was wir tun können, ist, nicht nur zu unseren Meinungen zu stehen, sondern immer auch zu Meinungen an sich, seien sie nun unsere oder nicht. Kurz: zur politischen Freiheit zu stehen. Pluralismus können nur die garantieren, die ihr eigenes Singular zum Plural beisteuern und so die Idee als Unsinn entlarven, Vielfalt entstehe, wenn keiner mehr denkt. Mein Recht, dagegen zu sein, ist die Grundlage für andere, dafür zu sein. Wer es mir nehmen will, kann mir viel Ärger bereiten. Doch sich selbst nimmt er die Basis für Persönlichkeit.

Freitag, Dezember 09, 2016

Geht und vergrätzt alle Völker

Gerade auf Facebook einen kleinen kontroversen Thread über den Papst gefunden. Ein Statement mit 8 Antworten, die ich in Auszügen zitiere:

  • Fatal
  • Kommunist
  • Lügen
  • "stellt Grundsätzliches in Frage, damit Unklarheit entsteht"
  • Claqueure
  • Oberlehrer
  • stockkonservativ
  • anarchistischer Gleichheitsbegriff
  • "gehören zu den Piusbrüdern"
  • pathologischer Sozialpessimismus
  • Flegelkardinäle
  • Oberlehrer
  • demontieren das Lehramt
  • Kadavergehorsam
  • Unverschämtheit
  • absolute Frechheit
  • „Genauso haben die Linksliberalen auch immer argumentiert“
  • Spalter
  • denunzieren
  • „In jedem Unternehmen fliegen Sie raus“
  • „Sie wollen hier doch nicht ernsthaft“
  • illegitime Kritik
  • schlechtester Konservatismus
  • „nicht mehr danach fragt, worum es geht“

Das macht pro Beitrag 3 Entgleisungen. Alles im Namen des richtigen Glaubens, versteht sich.
Papst Benedikt hat aufgerufen, zu verkündigen. Ihr Lieben, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er damit Euch gemeint hat.

Donnerstag, Dezember 08, 2016

Brücken und ihre Erbauer

Jede Brücke besteht aus Pfeilern und dem Bereich, in dem sie frei trägt und etwas überspannt, dem Überbau. Bestünde sie nur aus Pfeilern, wäre sie keine Brücke, sondern eine Säulenreihe. Hätte sie hingegen keine Pfeiler und bestünde nur aus Überbau, wäre sie eine schlichte Straße. Ohne Pfeiler steht sie nicht, ohne Überbau ist sie nicht begehbar und erreicht nichts.
Dieses Prinzip lässt sich auf die Situation des Papstes übertragen, dessen Funktion bekanntlich die ist, der größte aller Brückenbauer zu sein. Und damit hat er es schwer, denn derzeit beäugen sich Pfeiler und Überbau äußerst misstrauisch.

Während den einen alles häretisch erscheint, was nicht selbst direkt auf dem Fundament befestigt ist, halten andere jede solide Gründung für überflüssig und betonen, es käme auf Reichweite an, nicht auf Standpunkte. Viele der Ersteren wittern Verrat am Fundament, sobald sie Brücke auskragt. Sie weisen dem Überbau nach, dass er unter sich keine Substanz hat, und vergessen, dass sie es sind, die ihn tragen. Viele Mitarbeiter des Überbaus hingegen würde am liebsten die Pfeiler von den Fundamenten abreißen, um sie waagerecht zu drehen und so noch etwas weiter zu reichen.
So schwächen sich beide Bereiche gegenseitig, anstatt zu erkennen, dass sie nur gemeinsam in der Lage sind, irgendjemanden zu erreichen. Der (schlechte) Witz ist, dass beide Fraktionen dasselbe erreichen oder besser: nicht erreichen, wenn sie versuchen, einen Fluss zu überqueren. Die einen bauen einen undurchlässigen Damm, der zwar überall sauber auf dem Grund steht, aber den Fluss nicht überquert, sondern staut. Der Fluss wird steigen und ihn überspülen. Die anderen queren den Fluss sehr schnell und reichen weit, liegen aber auf dem Boden und werden daher ebenfalls überspült. Diese sehr volksnah, die Dammbauer dafür auf höherem Niveau. Erreichen tun sie beide nichts.
Diesen Kampf zu beenden und wieder ein Verständnis für das Wesen von Brücken zu wecken versucht der Papst. Mit mäßigem Erfolg, sind doch beide Seiten bisher vor allem darauf aus, ihn für ihre Erkenntnisse zu vereinnahmen oder aufgrund ihrer Erkenntnisse abzulehnen. Heute werden große Brücken gebraucht, nicht Streitereien auf der Baustelle. Doch leider ist die Zeit noch nicht gekommen, in der die einen die anderen in Glauben und Gebet tragen und die anderen sich getragen wissen und sich, darauf vertrauend, weit hinauslehnen. Die Zeit ist noch nicht da, in der die einen die anderen nicht verurteilen, sondern unterstützen und bei Bedarf korrigieren: Achtung, die Sache beginnt zu kippen! Oder: Wir müssen noch weiter hinaus – verankert euch noch fester!

Die Dubia sind dabei ihrer Zeit voraus. Bei ihnen handelt es sich um einen Hinweis, was Pfeiler zu tragen in der Lage sind und wo es kippen könnte. Entgegen der verbreiteten Wahrnehmung sind sie keine Positionierung innerhalb dieses sinnlosen Kampfes, sondern eine Korrektur im Sinne des Brückenbaus. Jeder Versuch, sie gegen andere auszuspielen, dient weder der Sache, noch ist er im Sinn der vier Kardinäle. Hinweise wie diese wird es in einer aktiven Kirche immer wieder geben. Durchaus auch von anderer Seite. Doch die Arbeiter auf der Baustelle können nicht damit umgehen, weil sie nicht mehr das ganze Bauwerk sehen. Während die einen verkünden, alles breche zusammen, jubeln die anderen, dass die lästigen Pfeiler endlich kippen. Nichts dergleichen ist der Fall. Doch das Gebrüll der beiden Fraktionen, die bis in höchste Kirchenämter reichen, verhindert, dass der Papst reden kann. Er weiß, dass jede Stellungnahme sofort falsch interpretiert und vereinnahmt würde und er schweigt.
Sollte der Punkt kommen, an dem der Papst erst einmal den leidigen Kompetenzstreit beendet, bevor weiter gebaut wird – dann knallt es. Und jeder, der jetzt schreit, wird sich schlecht behandelt vorkommen, denn er wird verdonnert werden zu schweigen. Lieber nicht.

Montag, Dezember 05, 2016

Autsch!

"Wenn Jesus vergeben kann, muss ich es als Mensch doch auch können!"
Sagt der Chef der Bundesagentur für Arbeit und Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Frank-Jürgen Wiese. (LINK)

Lieber Herr Wiese, diese Aussage beinhaltet derart viele Fehler, dass ich bestimmt die Hälfte übersehe.
Jesus ist also kein Mensch? Doch, ist er. Weihnachten bekommen Sie das noch einmal erklärt, wenn Sie in die Kirche gehen.
Was Jesus kann, müssten Sie auch können? Ja verflixt noch eins - es will einfach nicht klappen? Vielleicht beginnen Sie erst einmal mit etwas einfacherem als Vergebung. Auf dem Wasser gehen vielleicht.
Ihre Vergebung ist vergleichbar mit der Vergebung, die Jesus gab? Immerhin setzen Sie das gleich. Nun, da vergessen Sie einen kleinen Unterschied: Sie können das vergeben, was Ihnen angetan wurde, und zwar dem, der es Ihnen angetan hat. Jesus dagegen hat das vergeben, was irgendeinem Menschen angetan wurde, und zwar jedem, der Ihn bittet. Ihre Vergebung bringt etwas Frieden, die Vergebung durch Jesus bringt ewiges Leben. Um es klar zu sagen: wenn ich Ihnen auf die Füsse trete, können Sie mir das vergeben; Jesus hingegen kann allen Menschen vergeben, dass sie irgendwann irgendwem auf die Füsse traten (nach C.S. Lewis). Der hat einfach mehr drauf als Sie, auch wenn das vielleicht hart klingt. Das liegt daran, dass Er jeden Menschen mehr liebt, als dieser Mensch sich selbst, und Er daher stets der Hauptbetroffene ist.
Lassen Sie sich aber nicht demotivieren. Vergeben ist wichtig und nötig und gut. Nur die Annahme, man müsse das eigentlich können, ist, sagen wir, mutig. Und die Begründung, man müsse es doch hinkriegen, wenn doch sogar Jesus das konnte - hmm, gibt es unter den zahlreichen Fortbildungen Ihrer Agentur nicht irgendeine gute über christliche Basics? Das wäre doch was.

Sonntag, Dezember 04, 2016

4. Türchen, Betrachtungen


Betrachtungen von Papst Franziskus

Auszüge aus bisher unveröffentlichten persönlichen Ansichten eines Oberhirten.




Es ist eine Freude, die neuen bisher unbekannten Betrachtungen von Franziskus auf sich wirken zu lassen. Denn was könnte aufbauender sein, als auf diese Weise hineingekommen zu werden in die unmittelbare Nähe unseres Heiligen Vaters, den man so auf völlig neue Weise kennenlernt.
Vier Betrachtungen sind es, für jeden Adventssonntag eine. Nehmt Euch die nötige Ruhe und Zeit, damit die Betrachtungen das Herz und das Gemüt erreichen und erhellen können.
Und immer tiefer werden wir in das Geheimnis hineingeführt.

























  1. Am ersten Adventssonntag setzt man sich dem Blick des Geschehens aus, betrachtet es sozusagen frontal.
  2. Am zweiten Sonntag löst man sich von der eigenen Betroffenheit. Man tritt einen Schritt zur Seite und betrachtet so aus einer neuen Perspektive.
  3. Nun ist man darauf vorbereitet, an diesem Sonntag hinter die Dinge zu schauen, sozusagen die Rückseite der Medaille kennenzulernen. Sie ist nicht weniger faszinierend, wenn sie einen auch seltener anspricht.
  4. Am vierten Advent schließlich nähert man sich der Perspektive Gottes an. Von oben betrachtet scheint alles kleiner, aber nicht weniger wichtig. 
Echo Romeo wünscht allen ein wahrhaft erbauliches Betrachten und ein reich gesegnetes Weihnachtsfest.

Morgen erbaut uns Josef Bordat.

Montag, November 28, 2016

Halt, rote Linie!

Was macht man, wenn eine mathematische Gleichung nicht aufgehen will? Ganz einfach: man zwingt sie dazu. Per Gesetz. Frei nach Woody Allen, der auch bereits vorschlug, bisher unlösbaren Gleichungen Repressalien anzudrohen.
Ehrlich gesagt mag ich solche Witze. Absurditäten können unterhaltsam sein. Also gleich noch so einen: Was macht eine Arbeitsministerin, wenn die Rente zu teuer wird: sie verbietet das. Per Gesetz. Womit wir mit den Witzen am Ende wären, denn dies ist die Realität.

Ein neues Rentenkonzept wurde vorgelegt. Zwei „rote Linien“ gibt es darin, die nie und nimmermals überschritten werden dürfen: die Rente darf einen bestimmten Betrag nicht unterschreiten, die Beiträge dafür dürfen einen bestimmten Betrag nicht überschreiten. Und wenn das nicht passt? Wenn auch die höchsten erlaubten Einnahmen nicht reichen, die niedrigste erlaubte Rente zu finanzieren, was in wenigen Jahren der Fall sein dürfte? Ich meine, was soll das? Macht sich die Rente dann strafbar?
Kein Mensch hat etwas von solchen Regelungen, die so absurd sind, dass nicht einmal das Wort peinlich darauf noch passt. Sie besagen nichts anderes als: ab einem bestimmten Betrag wissen wir nicht weiter und greifen in die Steuerkasse. Wer hätte das gedacht. Dann gibt es eben höhere Steuern, vielleicht einen Rentensoli. Die Regelung jetzt ist nichts anderes als die Legitimierung der Verlegenheit demnächst. Der Bescheid, den man dann bekommt, hat ungefähr diesen Inhalt:

Lieber Bürger, wir bräuchten monatlich 100,-€ mehr von dir, um die Renten zu bezahlen. Da wir den Beitrag nicht erhöhen dürfen, bekommen wir künftig eben 100,-€ Rentensoli von dir. Da dieser neue Soli allerdings einen erheblichen Verwaltungsaufwand bedeutet, erhöht sich der Beitrag um 20%. Der Betrag von monatlich 120,-€ wird künftig mit der Steuer automatisch einbehalten.
Viele liebe Grüße, Rentenkasse und Finanzamt.

Vom Konzept her übrigens eine feine Sache: da Renten besteuert werden, zahlen die Rentner so ihre eigene Rente. Ich höre es schon: „Wer verbraucht, soll auch einzahlen“ oder Ähnliches – irgendein brauchbarer Slogan, der nach gerechter Verteilung klingt, wird sich dafür schon finden lassen.
Wenn die Politik mir einmal nicht in die Tasche greift, dann nur deshalb, weil sie Zugriff auf mein Konto hat. Bezahlen werden alles die jetzt jung sind. Deren Eltern werden übrigens weniger Rente bekommen, da sie Rentenzahler großzogen, anstatt zu arbeiten, ihre Energie also in die einzige Tätigkeit steckten, die auch künftig Renten garantiert, allerdings nicht bezahlt wird. Ich habe es meinem Sohn schon erklärt: Du wirst die Renten bezahlen, die in deiner Arbeitszeit anstehen. Die geringsten wirst du deinen und anderen Eltern bezahlen, weil die so große Kinderpausen hatten. Die höchsten wirst du denen bezahlen, die Karriere statt Kindern wollten. Das ist nur gerecht so. Er hat mich verstanden.
Rote Linien? Kein Politiker bleibt davor stehen. Der für Staatsmänner ausgerollte rote Teppich ist nichts als das Symbol der roten Linien, die er schon überschritten hat. Je mehr, desto länger.
Feierlich und selbstverständlich nur zu unserem Wohl.

Donnerstag, November 10, 2016

Wissen macht machtlos!

Die Meinungsforscher wussten, dass Clinton gewinnt.
Die Presse wusste, dass Trump letztlich keine Chance hat.
Die Fachleute wussten, dass die Aktien einbrechen, sollte Trump gewinnen.
Das wussten die schon immer. Verlasst euch drauf!
Das war vor der Wahl.

Jetzt ist nach der Wahl.
Heute weiß die Presse, warum es gar nicht anders kommen konnte.
Heute weiß die Presse, was kommen wird.
Heute weiß die Politik, dass das auch bei uns passieren kann. Und sie zittert. Denn sie hat ein Problem: die einzige Lösung, zu der sie sich aufraffen kann, ist, noch stärker genau so weiter zu machen, wie bisher.
Maybrit Illner zeigte es:
Alice Schwarzer weiß, dass ungebildete weiße Männer die Ursache waren, weil sie mit einer starken Frau nichts anfangen konnten.
Lafontaine weiß, dass die soziale Kluft die Ursache ist, die wiederum daher rührt, dass die Menschen nicht links genug sind.
Aus dem Lager der Grünen heißt es: „Wir müssen den Menschen noch besser erklären, was wir tun!“
Mehr vom Alten.
Fazit: der Schuss wurde gehört. Er soll die anderen aufrütteln.
Die Politik schaut von den Menschen weg und versteht den Tritt, der notgedrungen von hinten kommt, als beschleunigenden Impuls in ihre Richtung. Denn jeder hat eine ganz besondere Qualität in diesem ganzen Tohuwabohu: er kennt sich aus und weiß. Als einziger, versteht sich.

Politik und Presse sind gefangen in ihrem Anspruch an sich selbst, immer den Weg zu kennen und der Bevölkerung zu vermitteln. So gefangen, dass sie lieber blanken Unsinn von sich geben als einfach einmal still zu sein. Und damit verpassen sie das Entscheidende: das Hören, weil sie ständig reden. Sie, die immer alles wissen, übersehen das Banalste, das in jedem Kommunikationstraining gelehrt wird: erst einmal den Anderen reden lassen. Ihn fragen lassen. Vertrauen schafft man, indem man sich Fragen anhört und sie stehen lässt. Beantwortet man sie sofort, schafft man Abneigung. Doch zu dieser Erkenntnis sind Politik und Presse unfähig. Schon prasseln wieder Antworten und Erklärungen auf uns ein, ohne Basis, oft mit einer Halbwertszeit von nur Stunden. Antworten und Erklärungen, die nur noch nerven.

Niemandem fällt auf, was Trump sagte: „Ihr werdet nicht länger ungehört bleiben!“
Er versprach zu hören. Und das kam an. Die teils abstrusen Antworten, die er gab, waren kein besserwisserisches Herunterleiern von Lösungen, die niemand mehr hören wollte, sondern Impulse, die die Stimmung aufgriffen, die er hörte. Nicht weil sie jeden Latino rauswerfen wollten, wählten sie ihn, sondern weil sie merkten: der hat uns zugehört. Denn eins wissen die Wähler genau: Politiker und Reporter, die alles wissen, haben keine Ahnung. Und sie vertrauen dem, der vermittelt, zuzuhören und die Ärmel hochzukrempeln.

Unsere Politik hingegen und unsere Presse sind nicht nur unfähig, zu hören – sie verteufeln das Hören noch dazu. „Populismus“ ist die Diagnose, die sie jedem zuordnen, der auf die Menschen einzugehen versucht. Sie sind es gewohnt, Ungeliebtes so zu bedrängen und zu ächten, dass es sich wieder zurückzieht. Und sie überlassen das Hören anderen. Eine Frage der Zeit, bis sie sich verwundert die Augen reiben, weil sie entmachtet wurden.
Und wir können froh sein, wenn wir mit denen, die dann an die Macht kommen, nicht ins totale Chaos versinken. Die danach greifen, sind mehr als bedenklich.

Mittwoch, November 09, 2016

Trump und Chesterton

Anlässlich der Wahl in den Staaten ein paar Gedanken von Chesterton zum Konservativismus:
Wer das Alte, das er für wertig erkannt hat, erhalten will, darf nicht konservativ, sondern muss progressiv sein. Zum Erhalt braucht es immer wieder eine Revolution. Wer seinen weißen Gartenzaun erhalten will, darf ihn nicht sich selbst überlassen, sondern muss ihn regelmäßig neu streichen, sonst wird er schwarz. Bewahren geschieht durch regelmäßige Erneuerung. Erneuert man es nicht, wird man von dem, was man zu bewahren versucht, letztendlich tyrannisiert. Soweit Chesterton.
Was in den USA geschehen ist, war der Versuch einer derartigen Erneuerung: die Revolution mit dem Ziel des alten großen Traumes. Abgestraft wurde hingegen die Kandidatin, die das Establishment in seiner Entwicklung belassen und nichts ändern wollte. Es ist ein Sieg des Progressivismus über den Konservativismus.
Kein Mensch weiß, was daraus werden wird. Der Wahlkampf legt Übles nahe. Jeder Moderator und Schreiber versucht derzeit, sich mittels analytischer Gedanken als Prophet zu erweisen. Keinem gelingt es und das meiste wirkt peinlich. Vor allem deshalb, weil die Schablone, die angelegt wird, lautet: Clinton = progressiv, Trump = konservativ. Diese Schablone ist falsch; sie beruht darauf, bestimmte Positionen als beweglich anzusehen und andere als unbeweglich, was Unsinn ist. Und so haben weltweit Progressive Angst vor Veränderungen, die sie als Stillstand kennzeichnen, und viele Konservative freuen sich darüber, dass nichts beim Alten bleiben wird. Schlechte Voraussetzungen für eine politische Zusammenarbeit.
Was in den USA geschieht, ist ein Aufbruch. Weiß der Kuckuck wohin.

Sonntag, Oktober 30, 2016

Zensur?

Eine Unart der Auseinandersetzung, von deren Beispielen die Kommentarspalten katholischer Posts oft voll sind:

  • Diese Aussage könnte auch von Lafontaine sein!
  • Das sind linksgrüne Forderungen!
  • Wie kann man den zitieren? Der ist doch bekannt für seine antikirchlichen Positionen!
  • Etc…

Darf ich als Katholik Dinge nicht sagen, weil die Falschen sie schon sagten? Können mir folglich diese Personen faktisch vorschreiben, was ich sagen oder denken darf?

Es ist kaum möglich, ein umweltpolitisches Problem anzuschneiden, ohne Kommentare dieser Art zu hören oder lesen. Auch bei sozialen Fragen ist es ähnlich: es gibt Unpersonen, und deren Themen sind Unthemen. Ein Unding!
Viele genau der Christen, die bei Fragen der Sexualität (mit Recht!) sofort zwischen Sünder und Sünde zu differenzieren wissen, sind in anderen Fällen nicht einmal in der Lage, Problem und Lösung zu unterscheiden. Sie reagieren ganz so als würde ich, sehe ich ein Problem, automatisch eine falsche Lösung dafür unterstützen, nur weil sie bereits gesagt wurde.
Also als meine Kinder klein waren, habe ich jedem zugehört, der feststellte, sie hätten die Windeln voll, völlig wurscht ob der Entdecker nun dafür war, Pampers zu nehmen oder Ökowindeln. Mich hat die Info interessiert, nicht dessen Weltanschauung. Mir kommt es vor, als seine viele Schreiber in Blogs und auf facebook der Meinung, man dürfe Kinder nur wickeln, wenn, mit Verlaub, die Scheiße von einem moralisch unbedenklichen Menschen entdeckt und benannt wird. Und so bleibt viel Scheiße liegen und stinkt zum Himmel, weil es für Christen (Bürger, Konservative etc…) nicht opportun ist, sie zu sehen, da Lafontaine bereits reingetreten ist. Heraus kommen Diskussionen, bei denen man sich die Haare raufen will.
Glatzköpfige Intellektuelle tun mir leid!

Donnerstag, Oktober 20, 2016

Gelungen und gesegnet

Wenn sich das Bistum zur Wallfahrt nach Rom aufmacht, sollte man mehr als eine Gruppenreise in frommer, netter Gemeinschaft erwarten, denn man bekommt mehr: ein kleiner Bericht über eine beeindruckende Reise.


Am Montag, dem 10.10., ging es los. Zur Wallfahrt passte die Herrgottsfrühe, in der wir aufstehen mussten, um rechtzeitig am Flughafen zu sein. In guter Stimmung flogen wir nach Rom, fuhren dort in unsere Unterkunft „Casa Mater Mundi“, bezogen unsere Zimmer, die schon fertig auf uns warteten, bekamen ein paar Informationen und hatten erst einmal bis zum Abend frei. Mancher blieb im Gästehaus, das von Schwestern betrieben wurde und einfach, aber sehr nett und gut geführt war. Andere nutzten den Tag in der Stadt, bis wir uns am Abend gegen 20:00h alle auf dem Platz St. Maria in Trastevere trafen. Die Anfahrt erfolgte in Eigenregie, was im Wesentlichen bedeutete, zu warten: der ÖPNV Roms trug sicherlich einen wesentlichen Teil dazu bei, dass man merkte, in einem anderen Land zu sein, bei längerer Wartezeit in einer anderen Kultur und sich am Ende gar in einer anderen Welt wähnte. Dieses Grauen hat einen Namen, oder besser, eine Nummer: 870, der Bus, auf den wir mindestens 15min, höchstens aber 70min warteten. Eine Tatsache, die über die ganze Woche hinweg Gesprächsstoff lieferte, doch letztlich nichts verdarb: am Ende funktionierte immer alles.
In Trastevere nahmen wir dann teil am Abendgebet der Gemeinschaft Sant´Egidio und wurden von unserem Kardinal begrüßt. Diese Gemeinschaft engagiert sich sozial als gelebte Nachfolge Jesu. Ihre Grundlagen sind Gebet, Solidarität, Ökumene und Dialog – ein Einblick, der nachdenklich machte. Nach dem Abendgebet gab es „Brot und Wein“, ein gemeinsames Abendbrot mit interessanten Gesprächen. Reisebusse brachten uns nach Hause – eine Erleichterung.


Am nächsten Morgen, Dienstag 11.10., geht es früh weiter: 9:00h Treffen vor der Engelsburg. Anfahrt wieder in Eigenregie, also Aufbruch noch deutlich vor 8:00h. Viele sind müde. Von der Engelsburg geht es gemeinsam in einer Prozession zum Petersplatz und durch die dortigen Kontrollen. Es ist traurig zu erleben, wie die Kirche ihr Zentrum, das offen für alle sein soll, schützen muss. Doch nach der Kontrolle geht es in den Dom, durch die Heilige Pforte, die das Eintreten in die barmherzige Gegenwart Gottes versinnbildlicht. Viele bekreuzigen sich, berühren kurz die Türflügel. Es ist bewegend und still, der Schritt verlangsamt sich. Die Andacht ist greifbar und dicht, fast als könne man die gewährten Gnaden mit den Sinnen wahrnehmen. Auch das „Avanti, avanti!“ der Türsteher änderte daran nichts: es ist der Eintritt ins Herz der Kirche. Ein großes Herz im wahrsten Sinne: als sich die weit über 1000 Pilger am Altar der Kathedra versammelt haben, ist vom Dom nur ein kleiner Teil besetzt. Der Publikumsbetrieb geht weit hinter uns seinen gewohnten Gang, während wir mit unserem Kardinal die Heilige Messe feiern.
Der Nachmittag kann zum Besuch „besonderer Orte“ genutzt werden. Engelsburg, Katakomben, Petrusgrab, Radio Vatikan und vieles mehr steht zur Auswahl, wenn es gebucht wurde: viele Führungen erfolgen in kleinen Gruppen. Meine Familie und ich besuchen in Eigenregie das Pantheon und trinken am Platz davor einen Kaffee, der im Vergleich zur Heimat mindestens um so viel besser ist wie der ÖPNV schlechter.
Es beginnt zu regnen. Ich weiß nicht, was Petrus wollte, aber er wollte es nachdrücklich: in kurzer Zeit sind wir so nass, dass nur noch ein Taxi nach Hause uns helfen kann. Alles klebt klitschnass am Körper, auch wenn der Himmel inzwischen wieder großenteils blau ist. So verpassen wir und etliche andere die Lichterprozession durch die vatikanischen Gärten, die verspätet und verkürzt am Ende doch noch stattfand. Sehr schade.


Am Mittwoch, 12.10., ist Papstaudienz. Um 8:00h sollen wir am Petersplatz sein – mit Ausschlafen wird das nichts in Rom. Sogar an diesem Tag gibt es ein Morgengebet. Inzwischen ist auch bei mir angekommen, dass man die Linie 870 vermeiden kann, wenn man etwas weiter bis hinunter zum Supermarkt geht – dort fahren gleich zwei Linien, und beide häufiger. Auf dem Petersplatz kommen wir in den bestuhlten Bereich vorn in der Mitte. Wirklich viele Stühle stehen da. Ein kurzer Überschlag – Stühle pro Reihe mal Anzahl der Reihen mal Blöcke – ergibt rund 20.000 Stühle. Und sie bedecken doch nur einen Teil der vorderen Hälfte des Platzes.
Ein Sprecher begrüßt die anwesenden Gruppen – allein die Aufzählung und der kurze Jubel der genannten Gruppen dauern eine viertel Stunde. Als der Papst kommt und die Reihen abfährt, stehen plötzlich viele auf den Stühlen. Man sieht fast nichts mehr, aber das ist auch nicht nötig, denn das Papamobil ist hoch, und oft scheint Papst Fanciscus über den Reihen zu schweben. Er strahlt, winkt und segnet. Ein paar Kinder nimmt er ein Stück mit im Papamobil. Es ist heiter, wie überhaupt die Stimmung Roms in seinen großen Kirchen heiter ist. Die Predigt ist ein Aufruf, die Nachfolge Christi im Leben umzusetzen. Sie behandelt besonders die sieben leiblichen und die sieben geistlichen Werke der Barmherzigkeit. Genaueres hier: LINK
Die päpstliche Ansprache ist auf Italienisch, doch danach wird sie in vielen Sprachen zusammengefasst, von Sprechern, die bei dieser Gelegenheit den Papst grüßen und ihm danken. Dass einer von ihnen den Heiligen Vater versehentlich mit Johannes bezeichnet, lässt viele zusammenzucken – den Papst selbst allerdings nicht. Es ist schön, den Heiligen Vater zu treffen. Ja, wir sind wirklich in Rom, im Herzen der Kirche.
Nach der Audienz ist freie Zeit. Ich besuche das vatikanische Museum und die Sixtina. Die Vorstellung, dass hier das Konklave abgehalten wird und der Heilige Geist wirkt, trifft mich mehr als alle Kunstwerke, obwohl die wirklich gewaltig sind. Hinterher bin ich sehr müde. Keiner meiner Familie schafft es, am Treffen in Sant’Ignazio mit Abendgebet und offenem Singen teilzunehmen.


Donnerstag, 13.10. Nach Morgengebet und Frühstück ist der Vormittag und frühe Nachmittag wieder frei für die „besonderen Orte“. Wir besuchen die Domitilla-Katakomben. Die Anfahrt erfolgt in Eigenregie. Bitte pünktlich, wegen der geplanten Führung. Wir schauen auf den Stadtplan, den wir erhalten haben: dort sind die Katakomben eingezeichnet, zwischen zwei Brücken am Tiberufer. Wir fahren dorthin. Doch vor Ort gibt es nichts, was nach Katakomben aussieht. Wir fragen und erfahren zu unserem Erstaunen, dass sie ca. 7km entfernt liegen. Das Handy sagt: 2h zu Fuß. Wir sind ratlos. Plötzlich taucht ein Mann auf, der neben uns auch andere Ratlose einsammelt, und erklärt: was im Plan eingezeichnet ist, sind nicht die Katakomben, sondern der Abfahrtsplatz dorthin. Die Anreise ist im Viator-Bus, in Eigenregie erfolgte nur die Anreise zur Anreise. Das soll man wissen? Doch wieder: am Ende klappt alles.
Die Gruppe ist nett. Der Ausflug enthält neben den Katakomben vorab noch einen Besuch der Kirche, die dort errichtet wurde, wo Paulus enthauptet wurde, im Kloster Tre Fontane. Drei Quellen sollen dort entsprungen sein, wo das Haupt des Apostels nach seiner Hinrichtung im Jahre 67 den Boden berührte. Die Quellen und die Hinrichtungsstätte sind hinter Glas, aber ganz nah – bewegend!
Dort zu beten ist – irgendwie anders!
Nach Tre Fontane geht es in die Katakomben.


Die Führung hat eine junge Frau, die die Gänge so gut kennt, dass sie anderen Gruppen ausweichen und den Weg improvisieren kann. Bei 17km Gängen auf 4 Ebenen eine wirkliche Leistung! Eine schwer zu beschreibende Faszination geht von diesem Ort aus, der seinerzeit so grauenvoll gerochen haben muss, dass in den Licht spendenden Öllampen stets auch Parfümöl verbrannt wurde. Doch es ist nicht Makabres oder Morbides hier, sondern Stille und Ruhe. Interessant ist es überdies. Die meisten Grabstätten sind offen, da Eindringlinge einst nach Grabbeigaben suchten, bei den Christen jedoch nichts fanden und deshalb das einzige mitnahmen, was Wert hatte: die Ton- und Marmorplatten, mit denen die Grabnischen verschlossen waren. Im feuchtwarmen Klima der Gänge ist von den Gebeinen heute nichts mehr übrig, außer manchmal einem hellen Fleck auf dem porösen Gestein. Mit den Platten, die übrig bleiben, wurde die dazugehörige Kirche eingerichtet und geschmückt.


Am Abend ist Messe mit unserem Kardinal in der Lateranbasilika. Noch eine Heilige Pforte und schon die zweite der ganz großen katholischen Kirchen, an deren Altar wir feiern dürfen.


Am Freitag, 14.10., ist nach Morgengebet und Frühstück wieder Zeit für „besondere Orte“. Wieder nehmen wir die 870 und warten 20min. Unser Pastor schafft es, auf die Sekunde genau zur Abfahrt zu kommen – das muss eine besondere Amtsgnade sein!
Für mich bringt dieser Tag das intensivste Erlebnis der Fahrt – ich bin noch immer damit beschäftigt, es zu verarbeiten: Meine Familie und ich besuchen das Petrusgrab unter dem Dom. Die Führung ist hervorragend. Ein junger Priester, der bestens Bescheid weiß, zeigt uns, was es zu sehen gibt: Fundamente, die über 1000 Jahre alt sind, schon den ersten Dom trugen und teilweise aussehen, als wären sie gestern gemauert. Sarkophage der ausgegrabenen römischen Nekropole, deren Reliefs und Inschriften teils die römischen, teils die ägyptischen Götter anrufen. Dazwischen auch Sarkophage mit christlichen Texten und Motiven. Gott zwischen Göttern – die Situation der frühen Christen. Ca. 10m unter dem Altar des Petersdoms dann das erste Grab des Petrus, über dem man mehrere kleine Monumente errichtet hatte, deren Fundament ein Gewölbe über der Grabstelle hatte: das Märtyrergrab wurde nicht angetastet. In die Wände eingeritzte Fürbittgebete, die den Ort bestätigen. Doch das Grab ist leer, als einziges der vielen dort: als in einer Verfolgungszeit sogar die Gräber geschändet wurden, brachte man - für Forscher ein wichtiges Indiz - genau diese Gebeine in den Sebastianus-Katakomben in Sicherheit. Auch dieser Ort wurde gefunden. Als dann der erste Petersdom gebaut wurde, wurden die noch übrigen Gebeine zurückgeholt und nahe der ersten Grabesstätte in einer Nische in den Kirchenfundamenten erneut beigesetzt. Dort fand man sie bei den Grabungen. Die Knochen wurden inzwischen untersucht: es sind die Überreste eines Mannes, der 60-70 Jahre alt wurde, in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts starb und möglicherweise viel am Wasser arbeitete. Dass wir an dieser Nische standen, die freigelegt wurde, die Gebeine sahen und dort gemeinsam beteten, dafür fehlen mir die Worte.
Ob das alles stimmt? Was ich hier schreibe, ist was ich verstanden und behalten habe. Beweisen kann man es nicht. Doch wie es auch in der Führung gesagt wurde: unser Glaube beruht auf geschichtlichen Ereignissen, nicht auf Sagen. Christus hat auf Erden gelebt, ebenso Petrus und Paulus. Wir dürfen nach diesen Tatsachen suchen und der Wissenschaft trauen, wo sie Aussagen dazu machen kann. Es ist ein starkes Erlebnis, vor diesen Tatsachen wirklich zu stehen!


Am Grab des Petrus darf man nicht fotografieren. Doch diesem Ort auf dem Foto ist es ganz nah: ca. 10m darunter, ca. 10m nach vorn: der Altar des Petersdoms steht darüber.
Der Abend ist der letzte in Rom. Die Abschlussmesse ist in Sankt Paul vor den Mauern. Die Dritte der großen Kirchen in Rom, und wir feiern dort mit unserem Kardinal die Messe. Wieder eine Heilige Pforte. Für mich mit Abstand die eleganteste der großen Kirchen.


Nach der Messe gibt es vor der Kirche gute Nudeln, Getränke und wie immer eine schöne Gemeinschaft. Unsere Bischöfe sind wieder dabei.
Dann werden die einzelnen Unterkünfte per Schild zusammen gerufen. Nach Hause geht es im Viator-Bus – eine große Erleichterung, da es morgen sehr früh losgehen muss. Deshalb trifft man sich an diesem Abend im Gästehaus auch nicht auf ein Glas Wein, wie an früheren Abenden oft: es war eine schöne Gemeinschaft!


Man kann nicht alles erzählen. Von den ganzen Gesprächen, der Stadt, den anderen Kirchen, den Gassen, dem Kaffee und dem italienischen Essen. Jede der Predigten hätte eine ausführliche Zusammenfassung verdient! Es war viel.
Der Rückflug war dann schließlich, wie Rückflüge eben sind: man war eher müde und voll mit Eindrücken. Eindrücke, die noch lange nachwirken werden. Dafür ein herzlicher Dank an alle Organisatoren und Reiseführer, besonders aber an unseren Kardinal Woelki, unsere Bischöfe und an unseren Pastor für Messen, Gebete und Segen. Es war für mich eine rundum gelungene Fahrt.

Dienstag, Oktober 18, 2016

Die Pilotenfrage

Vor etlichen Jahren war ich in der Ausbildung zum Fluglotsen. Ich habe sie damals nicht beendet, sondern mich umentschieden. Doch ich bin weit genug eingestiegen, um mitreden zu können.
Das Thema „Konfliction“ war damals immer präsent – der Fall, dass zwei Flieger den Mindestabstand unterschreiten. Im Grunde erst einmal harmlos, die Mindestabstände sind so groß, dass sie einiges an Sicherheit bieten. Aber: jedes der kleinen Targets auf dem Radarschirm stand für 100 oder mehr Menschen. Der Alptraum war, etwas zu übersehen und so eine Kollision zu verursachen, eine Belastung, der man bereits in der Ausbildung durch psychologische Pflichtveranstaltungen zu begegnen versuchte.
Doch nicht der Unfall war unser Hauptthema, sondern die ständig drohende Rechtsunsicherheit. „Wenn etwas schief geht, setzen sich Experten monatelang zusammen und finden in endlosen Debatten heraus, was Sie in wenigen Sekunden unter Stress entscheiden und wissen mussten.“
Das war unsere Situation auf den Punkt gebracht. Und davor hatte jeder Angst, denn jeder wusste, dass seine Kapazitäten begrenzt waren und einer solchen Untersuchung niemals standhalten würden.

Das Problem, das in dem gestrigen Film völlig ausgeblendet wurde, war dies: kann ich ein unvollkommenes Werkzeug nach seinem Versagen überhaupt an perfekten Maßstäben messen und beurteilen? Oder, um den Menschen nicht zum Objekt zu machen: darf ich Personen, die naturgemäß Grenzen haben, in Situationen schicken, in denen diese Grenzen sichtbar werden, um sie danach an Gesetzen zu messen, die diese Grenzen gar nicht berücksichtigen?
Es ging um die Frage, ob sich die Passagiere in Gefahr bringen, wenn sie ein Flugzeug besteigen. Besser wäre es um die Frage gegangen, ob sich der Staat in Gefahr begibt, wenn er Menschen in derartige Extremsituationen bringt. Er tut es, und er tut es offenen Auges, denn er besteht aus Menschen. Wenn sich aber ein Mensch bereit erklärt, sich solchen Situationen auszusetzen, braucht er dazu den Rückhalt des Staates, auch wenn eine Katastrophe geschieht. Die Würde des Menschen wurde ausdiskutiert auf dem Rücken eines Menschen, dem man sein Menschsein absprach, indem man Perfektion von ihm forderte. Wo waren der Mediziner und der Psychologe, die erklärten, wie in einer solchen Situation der Stress wirkt? Die ganze Diskussion war aufgesetzt und in sich falsch.

Montag, Oktober 17, 2016

Krisen dauern!

Krisen dauern!
Vor mehr als einem Jahr schrieb ich den folgenden Beitrag, über den ich gerade wieder stolperte und der nach wie vor das, was ich denke, ziemlich präzise zusammenfasst.


In der letzten Zeit wurde mir das Schreiben immer zäher und schwerer. Ich habe mich lange gefragt, warum, aber fand nur, dass es mir sinnlos vorkam. Irgendwann fiel dann der Groschen. Es sind im Wesentlichen zwei Gründe.

Einmal: es läuft eine Diskussion, in der ich mich keiner Seite zuordnen kann. Da wird behauptet, die Kirche sei eine Wertegemeinschaft – folglich sei alles, wo man diese Werte vorfindet, in die Kirche zu integrieren. Treue und verantwortungsvolle Nicht-Ehen zum Beispiel. Nur ist die Kirche keine Wertegemeinschaft.
Dagegengehalten wird mit der katholischen Lehre, die nicht verändert werden darf. Logisch, wenn sie von Gott kommt. Nur ist die Kirche auch keine Lehrgemeinschaft.
Was hier meiner Meinung nach falsch läuft, ist die Frage, was Grundlage und was Frucht ist. Die Kirche hat eine Lehre, die Werte hervorbringt, sicher. Die Werte sind wichtig und die Lehre ist wahr, sicher. Doch was die Kirche eigentlich ist: der Leib Christi auf Erden. Christus ist das Haupt, nicht der Katechismus. Er kommt immer zuerst!
Das mag wie eine unsinnige Differenzierung klingen, ist doch im Katechismus zusammengefasst, was Christus für uns und von uns will. Das Problem ist jedoch: wenn ich Christus nicht kenne, bringt mir die Lehre wenig bis nichts. Sie ist dann so gehaltvoll, wie die Anleitung zu einer gelingenden Ehe, ohne dass ich verheiratet bin oder auch nur Aussicht auf eine Freundin hätte. Richtig zwar, aber reine Theorie und nicht umsetzbar. Nicht, weil der Wille fehlt, sondern weil es gar nicht gehen kann. Am Anfang steht die Liebe, die Begegnung mit Christus. Auf dieser Basis ergibt alles Sinn. Ohne diese Basis degradiert man die katholische Lehre zu einer Weltanschauung unter vielen, und zudem zu einer, deren Implikationen sich nicht umsetzen lassen.
Die Diskussion Lehre gegen Werte ist zum Scheitern verurteilt. Mehr noch: sie schadet, weil sie den Blick in eine falsche Richtung lenkt, so richtig inhaltlich vieles sein mag. Ich will aber nicht Recht haben, sondern helfen, das Problem zu lösen.

Der Zweite Grund ist der: wir sind in Gefahr, uns das Heft aus der Hand nehmen zu lassen und nicht mehr zu handeln, sondern zu reagieren. Viele heiße Diskussionen drehen sich darum, wie man verhindert, dass Dinge Gesetz werden, sie längst präsent sind. Sicher, das ist wichtig, um den Schaden nicht noch größer werden zu lassen, doch es ist zum einen ein ziemlich aussichtsloser Kampf und zum anderen die Reaktion auf Themen, die uns aufgezwungen werden. Das Beste, was wir beim Verhindern erreichen können, ist die Erhaltung des Status Quo. Es ist ein Rückzugsgefecht.
Rückzugsgefechte aber sind nicht unsere Aufgabe: „Geht und lehret alle Völker!“ ist mit „Verhindert das Schlimmste wenigstens für eine Weile“ unzureichend umgesetzt.

Die Antwort auf beide Probleme ist meiner Meinung nach die Evangelisation. Christus muss bekannt gemacht werden. Und darunter verstehe ich nicht, dass man um Ihn und seine Gebote weiß, sondern dass man ihn kennt und dann früher oder später Ihn und seine Gebote versteht. Werte ergeben sich dann automatisch. Und ich stelle fest, dass ich dieser Aufgabe nicht gewachsen bin. Diskutieren erscheint mir dagegen wie eine leichte Fingerübung. Ich weiß zumindest um einen Teil meiner Fehler und Sünden und erkenne mich ganz realistisch als unqualifiziert. Und doch ist genau das meine Aufgabe: Christus bekannt zu machen. Ich zögere und fühle mich unsicher, schäme mich und ducke mich weg. Da muss ich auf einen Boden, der nicht zu tragen scheint!
Vorgemacht hat es mir Petrus: er ging aufs Wasser, als Christus ihn rief. Und er wurde hochgezogen, als sein eigener Glaube nicht ausreichte. Für mein Empfinden ist genau das von mir verlangt: etwas zu tun, das gar nicht klappen kann, weil ich um das Gewicht meiner Sünden weiß. Doch der heutige Petrus ruft mich immer und immer wieder genau dazu auf: geht und evangelisiert! Jeder auf seine Weise und mit seinem Maß an Glauben, aber geht! Ich bete um den Mut zum Gehorsam.

Sonntag, Oktober 02, 2016

Aberglaube in der Messe

Um es gleich vorab zu sagen: nein, ich bin kein Gegner des Friedensgrußes in der Messe. Er gehört für mich dazu. Manche verweigern ihn, mit einer sauertöpfischen Miene liturgischer Überlegenheit im Gesicht – nun ja. Jedem das Seine. Manchmal muss halt erst Frieden mit dem Ritus geschlossen werden.
Was mir aber wirklich auf den Senkel geht – und da wünschte ich mir einmal eine sehr deutliche Predigt zu: der Aberglaube, der dort sichtbar wird. Denn so gut wie keine Messe vergeht, in der nicht irgendjemand plötzlich mit einem leicht verlegenen Grinsen im Gesicht seine Hand zurückzucken lässt: beinahe wäre es passiert! Die ultimative Katastrophe, wenn sich zwei Paare über Kreuz die Hände geben. Über Kreuz – das bringt Unglück! Das tut man nicht. Natürlich glaubt man nicht an solche Dinge, aber vielleicht kann man ja nie wissen und überhaupt. Das tut man nicht und Ende.
Für mich eine Profanisierung des Friedens, der von Gott kommen soll. Er wird auf ein Getue zusammengestutzt und von Regeln beherrscht, die mit Gott nicht nur nichts zu tun haben, sondern ihm geradezu entgegenstehen: Aberglaube. Denn nichts anderes ist die Vermeidung des Kreuzes, die letztlich aussagt, dass das Heilsgeschehen etwas Unheimliches an sich hat. Am besten kreuzt man noch hinter dem Rücken zwei Finger, wenn man jemandem den Frieden wünscht, den man nicht leiden kann, selbstverständlich nachdem man festgestellt hat, dass kein anderes Paar querschießen will.
Ich habe es versucht und maximal ein oder zwei Mal ansatzweise hinbekommen: den Frieden über Kreuz zu wünschen. Keine Chance. Zudem ein dummer Versuch, denn so mache ich dasselbe, nur anders herum, aber willentlich und bewusst. Das bringt nicht weiter.
Vielleicht wirklich einmal ein paar Worte von der Kanzel dazu: Aberglaube, und seien es die kleinsten Rituale, haben in der Messe nichts verloren, denn hier geht es um die Wahrheit, die uns geschenkt wird, wie auch der Friede, den sie mit sich bringt. Ein Friede, der in unseren Herzen aufgehalten wird, aber nicht von einer Armstellung beim Händeschütteln.
Jetzt stehe ich womöglich ziemlich allein mit dieser Ansicht. Viele mögen das für harmlos halten und meine Reaktion für übertrieben; andere wissen noch genauer, warum sie den Friedensgruß ablehnen. Ich kann es nicht ändern. Einen Tipp habe ich zumindest noch für alle, die weiter bei ihren gesellschaftlichen Ritualen bleiben wollen: seid großzügig, wie die Schrift es fordert. Denn:


Samstag, September 17, 2016

Ich bin ein Tollpatsch - was für eine Art Trottel bist Du?

Wieder einmal grassieren Unmengen von "Tests" durch facebook, die mit lustigen Ergebnissen locken, wenn man ein paar Fragen beantwortet. Eine harmlose Sache? Ich denke nicht und habe daher einen alten Blogbeitrag wieder nach oben geholt.


Dafür geben Firmen Unsummen aus: zu wissen, was man uns wie verkaufen kann. Denn Daten sind Geld, und meine Daten sind mein Geld. Wer mich kennt, weiß, wie er mich ansprechen muss. Und wer das weiß, kommt leichter an mein Geld und an meine Stimme. Soweit die Theorie.
Leider stimmt die in diesem Fall mit der Praxis überein: Ich bin zwar oft dumm, aber so dumm, zu glauben, ich sei nicht manipulierbar, bin ich denn doch nicht. Die Gefahr besteht. (Viele Menschen glauben zwar, sie seien gegen Werbung und andere Manipulation immun, doch das ist schon der erste Irrtum, dem sie aufgesessen sind und ein Erfolg der Werbung.)

Im Internet bieten sich den Werbenden ganz neue Möglichkeiten: man kann einzelne Personen gezielt ansprechen. Das geht über die Auswahl der Produkte hinaus: der eine will forsch angesprochen sein, der andere eher zurückhaltend. Der eine liebt den gesellschaftlichen Kontext, der andere ist Einzelgänger. Sehnt man sich nach Erfolg, Geld oder Ruhe? Legt man mehr Gewicht auf Gesundheit oder auf den Kitzel des Risikos? Bitte, lieber Internetuser, gib uns deine Daten, und zwar so, dass wir sie gleich nach unseren elektronischen Schablonen auswerten können. Am besten, du füllst uns gleich ein paar Fragebögen aus, die deinen Typ auswertbar beschreiben.
Wie kann die Werbebranche herausfinden, wie ich ticke, und zugleich ganz harmlos daher kommen? Der derzeitige Trick ist einfach. Man postet die Typenfragen, die man gerne beantwortet haben möchte, und hängt als Bonbon eine kleine Auswertung dran: was für ein Unwetter bist Du, was für eine Person aus der Geschichte, was für ein Hund, welche Farbe oder wer aus Downton Abbey. Dazu verraten wir dir noch deinen vermeintlichen IQ, dein geistiges Alter und deine Lebenserwartung. Und weil wir uns mit der IP nie ganz sicher sind, wer da gerade am Rechner sitzt, kannst du deine Ergebnisse auf Facebook posten. Jetzt wirst Du Werbung bekommen, die zu dir passt und die du daher gar nicht als aufdringlich empfinden wirst.

Blöd, wie ich bin, habe ich selbst ein paar dieser Tests mitgemacht, bis mir auffiel, dass die eigentlich gar nicht lustig sind, außer natürlich für die Auswerter. Wer da mittut, braucht sich über Datenklau bei Google nicht mehr aufzuregen, denn er liefert die Daten freiwillig: ein nettes kleines Persönlichkeitsprofil samt Facebokkidentität und damit faktisch samt Namen und Adresse.

Hier also mein selbst geschriebenes(!) Trottel-Testergebnis:
„Du bist im Umgang mit Deiner Person zu sorglos. Dass du trotzdem nur ein mittelschwerer Trottel bist, liegt daran, dass du noch eine gewisse Lernfähigkeit beweist. Du bist wie jemand, der aus Versehen Dinge umwirft, um sie hinterher etwas unbeholfen wieder gerade zu rücken: ein Tollpatsch.“

Auf Facebook habe ich begonnen, so ziemlich jeder Werbung mit „passt nicht zu mir“ zurück zu weisen. Seitdem bekomme ich in erster Linie Einladungen zu Seniorentreffs – damit kann ich leben. Und die wiederholte Google-Suche nach Urlaubsorten und der Natur in Norwegen beschert mir immer wieder schöne Landschaftsaufnahmen, wo mir früher Freude am Fahren nahe gelegt wurde. Eindeutig eine Verbesserung. Und zugleich der Beweis, dass man genau weiß, wer ich bin…

Donnerstag, September 15, 2016

Jeder und jede von Euch ist geliebt!



Auch unser Bischof Bernhard Oesterhagen hat ein Grußwort zum »Marsch für das Leben« am kommenden Samstag in Berlin geschrieben:

Ich bin gebeten worden, ein Grußwort für den Marsch für das Leben zu schreiben. Eine schwere Aufgabe!
Wen soll ich grüßen? Persönlich würde ich am liebsten all die Ungeborenen begrüßen, natürlich nachdem sie das Licht der Welt erblickt haben. Mit ihnen fühle ich mich solidarisch, denn ich bin auf dem besten Weg, zu werden wie sie: als alter Mann werde auch ich womöglich bald hilflos und schutzbedürftig sein. So ist der Mensch nun einmal am Anfang und am Ende seines Lebens, und ich gehöre dazu.
Doch ich wurde nicht als alter Mann, sondern als Bischof gefragt, als Apostel Christi, und so sollt Ihr die Antwort eines Apostels bekommen. Ich richte meinen herzlichen Gruß im Namen Jesu an daher all die, auf die er heute mit seiner unverbrüchlichen Liebe und unermesslichen Vergebung besonders schaut und die er bei sich haben möchte:

Liebe Gegendemonstranten,
jeder und jede von Euch ist geliebt!
Ich will nicht mit Euch argumentieren. Argumente gab es genug. Ihr kennt die der Demonstranten, und die Demonstranten kennen Eure. Ich will das nicht wiederholen, sondern Euch sagen: jeder einzelne von Euch ist geliebt. Das steht über jedem Argument und über jedem moralischen Appell. Das Leben, um das es hier geht, ist nicht nur das der Ungeborenen. Es ist genauso Euer Leben, das Gott so sehr am Herzen liegt.
Das mag für Euch heuchlerisch erscheinen. Ihr seid hier, weil Ihr Euch wehrt. Dagegen, bevormundet zu werden. Dagegen, dass man über Euren Körper verfügen will. Dagegen, dass man Euer Leben massiv beschneiden will, Eure Sexualität unterbinden will und das dann als „Pro-Life“ bezeichnet. Wie könnte jemandem, der Euch so sehr bekämpft Euer Leben am Herzen liegen?
Ich habe keine Worte, die so treffend sind, dass sie Euch einfach überzeugen. Doch es geht nicht um mich - als Bischof verkündige ich Gott. Er ist es, der Euch liebt. So sehr, dass er dafür gestorben ist. So sehr, dass er es für jeden einzelnen allein von Euch getan hätte. Die Kreuze, die hier an das Leben erinnern sollen, sind auch für Euch und Euer Leben: das Zeichen, dass Ihr geliebt seid.
Jemand, der den Tod nicht scheute, erträgt auch Kontroversen. Habt die Courage, diesem Gott zu sagen, was Euch stört. Sagt, was Ihr denkt, nicht das, wovon Ihr vermutet, dass die Demonstranten es wollen, dass Ihr es sagt. Aber sagt es ihm mit Blick auf das Kreuz, denn nur da ist er glaubwürdig. Am Kreuz ist er kein Diskussionsgegner, sondern ein Freund, den alles, aber auch alles an Euch interessiert. Seid nett zu den Demonstranten - vielleicht schenken sie Euch dann ja ein paar von den Kreuzen.
Was auch immer Ihr heute tut und denkt, liebe Gegendemonstranten, nehmt auf jeden Fall eines von hier mit: Ihr seid geliebt.

Herzlichst
Euer +Bernhard Oesterhagen
Bischof von Gnadensuhl

Sonntag, September 11, 2016

Pontifex

Eine Bezeichnung für den Papst ist Pontifex Maximus - der größte Brückenbauer. Was das bedeutet, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander.

Die einen haben einen eher dogmatischen Ansatz. Sie führen die Bibelstelle an „Auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ und sehen im Papst, falls er denn schon Bestandteil einer Brücke sein muss, das Fundament, auf dem alles ruht. Bestenfalls schlägt er den Bogen von Dogma zu Dogma, um die dazwischen liegende Reine Lehre vor Regen zu schützen.
Andere sehen das seelsorgerisch dynamischer: eine Brücke muss Abgründe überwinden, führt selbstverständlich möglichst weit, und sobald sie steht, geht der Papst am besten selbst drüber und bricht sie danach hinter sich wieder ab, damit kein irgendwie gearteter Druck ausgeübt wird. Was könnte die Idee des Brückenbaus anderes sein, als alles und jedes unverbindlich zu verbinden? Jede Überwindung irgendeines Abgrundes ist ein Sieg; ein Netz aus Brücken ist die Vision, gleich von wo nach wo man auf ihnen gelangt.
Nun ist die ganze Sache etwas weniger fröhlich, als europäische Wohlstandschristen es aus ihren Diskussionen gewohnt sind, die meist so ablaufen, dass beide Seiten mehr oder weniger aggressiv-munter die Positionen des jeweils anderen demontieren und sich dabei gut fühlen. Für mich klärt sich die Frage nach dem Wesen des Papsttums in der schrecklichsten Geschichte, die ich je gehört habe. Ob sie exakt so vorgefallen ist, weiß ich nicht, aber sie könnte täglich genauso passieren.

Auf eine Kirche wird während eines Gottesdienstes ein Brandanschlag verübt. Die meisten können sich retten. Eine Mutter aber muss erst nach ihrer kleinen Tochter greifen und sieht sich von Flammen umgeben. Sie sucht panisch einen Ausweg und findet ihn tatsächlich nach Minuten in Hitze, Lärm und Rauch. Als sie endlich glücklich und erleichtert mit ihrer Tochter auf dem Arm herausspringt, stehen draußen die Brandstifter. Sie entreißen ihr das Kind und werfen es zurück ins Feuer, wo es vor ihren Augen stirbt und verbrennt.
Angesichts des Schicksals dieses kleinen Mädchens, des Schmerzes dieser Mutter und der Schuld dieser Mörder versagen alle menschlichen Möglichkeiten. Man kann mitweinen, helfen, strafen und alles versuchen, um zu lindern. Doch eine menschliche Antwort, die diese Situation wieder ins Gute wendet, gibt es nicht: Hier ist das Ende der Möglichkeiten erreicht und das Existenzielle, Absolute tritt nackt hervor, und niemand kann es mehr bemänteln. Das Menschliche ist an seiner Grenze und versagt.
Gott sagt: ich kann das. Ich bemäntele gar nichts, denn ich bin für alle eine tatsächliche Perspektive, nicht eine tröstende Weltanschauung, für Opfer, Hinterbliebene und Mörder. Mein Geschenk ist das wirkliche, das ewige Leben. Ich bin das Absolute: das absolute Leben, ein Leben in Freude ohne Schmerz oder Schuld.
Doch wie soll man das dieser Mutter sagen? Allzu oft kommt bei den Betroffenen nichts an, oder bestenfalls irgendwelche Philosophien über die letzten Dinge, unabänderliche, angenommene Schicksale und getragene Kreuze. Trostversuche, die, aus menschlichem Denken heraus gesprochen, genauso eine Verhöhnung der Beteiligten sind wie ideologische aber letztlich abstrakte Solidaritätsbekundungen. Wie kann man das Absolute zu den Menschen bringen? Die Nachricht vom Heil muss einen Abgrund von Misstrauen und Verzweiflung überwinden, der unüberwindlich scheint
Über diesen Abgrund verläuft die Brücke, die der Pontifex Maximus als erster immer wieder zu bauen hat, die Brücke, die den Mensch mit Gott verbindet. Die Brücke der Verkündigung, die Brücke, auf der Gottes Wort täglich zu den Menschen gelangen kann. Sie ist mit den Dogmen allein ebenso wenig vollständig beschrieben wie mit der Lebenssituation ausgesuchter Teile der Zielgruppe. Ein dummer, sinnloser Streit: wie könnte das Anliegen Gottes, sein Heil zu den Menschen zu bringen, bei persönlichen Standpunkten enden? Ein Brückenpfeiler, der nur seinen Standpunkt gelten lässt, offenbart ein merkwürdiges Brückenbild.
Der Lagerstreit zwischen den Christen ist die heutige Form der Kirchenspaltung. Die große Brücke wurde von Gott selbst geschlagen: diese Brücke ist sein Sohn. Wir aber sind der Leib Christi auf der Welt, wir vertreten diesen Sohn heute. Damit sind wir selbst Teil dieser Brücke Gottes zu den Menschen. Er ist es, den wir zerreißen, wenn wir uns zerstreiten.

Donnerstag, September 01, 2016

Meine Erlebnisse mit Mutter Teresa

Es ist sehr lange her – über 30 Jahre. Ich habe noch niemals darüber geschrieben. Doch jetzt, anlässlich der Heiligsprechung Mutter Teresas, mache ich es, ihr zu Ehren. Manche Erinnerung mag inzwischen ungenau sein und sich mit anderen vermischen, doch alles ist noch erstaunlich klar. Mein Erlebnisbericht soll im Chor der teilweise auch kritischen Stimmen nicht fehlen. Damals hatte ich die Gelegenheit und große Ehre, für eine Woche am schönsten Ort der Erde zu arbeiten.

„Nicht am Schönsten. Du meinst: den Beeindruckendsten!“ sagten meine Eltern und meine Freunde. Nein, ich meine den schönsten Ort, den es für mich gibt: Nirmal Hriday, the home for the dying in Kolkata. Unvorstellbare Schönheit zwischen Krankheit, Enge, Dreck und Tod.
Nach mehreren Monaten bei zwei Brüdern aus Taize im benachbarten Bangladesh hatte ich bereits einen gewaltigen Kulturschock hinter mir, sonst hätte ich das nicht gekonnt. Ich hatte im Verkehrsstau aus Rickschas gestanden, Slums besucht und Dörfer, die 10 Kilometer von der nächsten Straße entfernt lagen. Ich hatte unvorstellbare hygienische Zustände gesehen, weil die Grundbesitzer sich weigerten, den einen Quadratmeter Boden pro Haus für eine Toilette herauszurücken. Häuser, die teilweise so klein waren, dass die ältesten Söhne nachts draußen schliefen, weil die ganze Familie einfach nicht auf den Boden passte. Nur in der Hauptstadt Dhaka war es noch schlimmer, weil dort in den Randbezirken viele Abwasserkanäle wirklich kleine offene Kanäle waren, um die herum die Hütten standen. Manche Kanäle mündeten in kleine Seen, die natürlich völlig überdüngt und veralgt waren. Das hatte allerdings auch einen Vorteil: man konnte in ihnen viele kleine Fische fangen, die von den Algen lebten. Eine kleinfingerlange Eiweißquelle für Menschen, die sonst ausschließlich Reis, Linsen und Peperoni hatte, wenn sie sie hatten. Ich war zur Trockenzeit da, nicht im Sommer, wenn diese Brühe die Hütten überschwemmt. Ich hatte mich an die Kinderhorden gewöhnt, die in den Straßen jeden Weißen verfolgten, den sie zwar als Fremden verachteten, in dem sie aber ein wandelndes Portemonnaie sahen. Das hatte ich gesehen, und noch viel mehr.
Gegen Ende meiner Zeit rieten mir dann die beiden Brüder, ich solle doch für zwei Wochen nach Kolkata fahren. Bei der Heilsarmee könne man billig wohnen und für ein paar Tage käme ich sicher bei den dortigen Brüdern unter. Ein Zug fahre dorthin. In Kolkata sollte ich zum Kalighat-Tempel fahren. Direkt daneben befinde sich das Haus für die Sterbenden von Mutter Teresa; dort sei man über jeden Freiwilligen froh.

Als ich nach einer ziemlich abenteuerlichen Reise mein Bett bei der Heilsarmee hatte und am Kalighat-Tempel ankam, fand ich daneben ein unscheinbares, sehr einfaches Haus vor. Verschnörkelte Fassade – es war wohl einmal ein Pilgerzentrum des Tempels. Innen zwei große Räume – einer für die Frauen und für mich unzugänglich, einer für die Männer. Dazu ein paar Nebenräume.
Im Saal für die Männer standen dicht bei dicht dutzende einfacher Pritschen mit einem robusten, abwaschbaren Gummibelag. Man konnte so gerade zwischen ihnen herumgehen. An der Decke Ventilatoren. In der Ecke ein Bild vom Barmherzigen Jesus, ein Marienbild und ein Kreuz, typisch indisch und schreiend bunt. Davor ein paar Kerzen. Auf jeder Pritsche lag oder saß ein Mann. Eine der Schwestern hieß mich willkommen. Ich solle mich erst einmal eine halbe Stunde umsehen und eingewöhnen, dann hätte sie Arbeit für mich. Für eine Woche bin ich dort hingegangen und habe diese Arbeit verrichtet.
Essen wurde verteilt, sehr einfach, aber immerhin mit etwas Salat. Für viele Bewohner schlicht luxuriös. Dazu gab es Wasser. Einige Bewohner mussten gefüttert werden. Das konnte dauern, weil sie teilweise nicht mehr richtig schlucken konnten. Man musste im Mund nachschauen, bevor man den nächsten Bissen reichen konnte.
Wer es nicht mehr selbst konnte, musste gewaschen werden. Eine heikle Sache bei Menschen, bei denen Entblößung als Katastrophe gilt. Toilettenpfannen mussten gebracht und entsorgt werden. Eine, die man mir in die Hand drückte, enthielt undefinierbare Schleimfetzen, Blut und ein paar Segmente eines riesigen Bandwurms, daumendick. Ich konnte den Brechreiz nur unterdrücken, weil ich dachte: wenn du jetzt spuckst, nimmst du dem Mann seine letzte Würde. Verbände waren meist um die Reste verstümmelter Finger Leprakranker gewickelt, manchmal auch um die Reste größerer Gliedmaßen. Sie wurden von Personen gewechselt, die sich darauf verstanden. Tote wurden in einen kühlen Raum gebracht.
Mit diesen Arbeiten verging die Woche. Einige der Bewohner konnten ein wenig englisch. Sie klagten selten.
Mindestens eine ausgebildete Krankenschwester legte Infusionen und verabreichte Injektionen. Es gab einen klaren Medikamentenplan, einen guten Vorrat an allem Nötigen und selbstverständlich einen guten Sterilisator. Ein Arzt kam regelmäßig, untersuchte und stellte Diagnosen. Erschein jemand heilbar, so suchten die Schwestern nach einem Krankenhausplatz für ihn. Nicht einfach, da ein Krankenhaus bar bezahlt werden musste und die Patienten das nicht konnten. Ansonsten wurde jedes Leiden so gut bekämpft, wie es möglich war. Etwa 50% der Bewohner des Hauses überlebten damals und verließen es wieder. Die anderen starben innerhalb einiger Stunden, Tage oder Wochen. Niemand von außerhalb besuchte sie oder kümmerte sich um ihren Tod. Denn nur die, so wurde mir gesagt, durften in diesem Haus wohnen, die drei Kriterien erfüllten: offensichtlich kurz vor dem Tod stehend, vollkommen mittellos und ohne Angehörige. Menschen, die also anderenfalls schlicht irgendwo am Straßenrand allein gestorben wären.
Davon gab es noch genug. Jeden Morgen fuhr ein Lastwagen durch die entsprechenden Straßen und sammelte Tote ein. Einmal habe ich ihn gesehen: ein paar Säcke mit Leichnamen auf der Ladefläche, einer davon völlig unförmig und blutdurchweicht. Ich habe versucht, mir nicht auszumalen, was darin war, doch ich dachte an die berüchtigten Ratten von Kalkutta, die nachts angeblich sogar noch lebende Sterbende anfraßen und die am Busbahnhof von den Reichen mit Popcorn gefüttert wurden. Tausende Ratten, die sich auf den Verkehrsinseln satt fraßen.
An der Tür wurde Essen an Bettler ausgegeben. Viele kamen, viele nicht. Was an Essen übrig war, wurde weggeworden. Zusammen mit vereiterten Verbänden und anderem Müll landete es auf einem Haufen hinter dem Haus, der ab und zu abgeholt wurde. Ich war empört! Doch dann erzählte mir jemand, das werde großenteils noch von Armen weggeholt, die von Christen nichts annähmen, vom Müll aber schon.

Im Saal herrschte eine große Ruhe, obwohl es unruhige und auch unangenehme, ungeduldige Bewohner gab. Doch aus irgendeinem Grund fehlte in der Stimmung dort eine Emotion völlig: Traurigkeit. Nicht fröhlich, aber vollkommen friedlich. Es ist der positivste Ort, den ich jemals besucht habe. Das lag sicherlich auch daran, dass viele der Bewohner niemals zuvor ein eigenes Bett, einen Arzt, ein regendichtes Dach oder regelmäßige, gesunde Mahlzeiten gehabt hatten. Sie starben besser, als sie jemals gelebt hatten. Der Hauptgrund aber stand in der Ecke, mit brennenden Kerzen davor. Mutter Teresas Brüder und Schwestern leben kontemplativ. Sie beten ebenso viel, wie sie arbeiten. Auch ihre Arbeit ist Gebet für sie, ihre Haltung zu den Bewohnern Liebe. Die unbeschreibliche Schönheit des Hauses ist die Schönheit Gottes – anders lässt es sich nicht erklären.
Es ist wie ein Schock, in einen Raum zu kommen, in dem die Hälfte der Menschen im Sterben liegt, aber niemand traurig ist, doch jeder liebevoll. Diese Liebe zu bringen ist das erklärte Ziel Mutter Teresas. Und obwohl selbstverständlich jeder versorgt wird, so gut es geht, ist diese Liebe das Wichtigste.
Obwohl sie sich für jeden Freiwilligen eine halbe Stunde Zeit nahm, habe ich Mutter Teresa selbst nie getroffen – sie war gerade im Ausland. Ihr Wirken habe ich gesehen. Es gab keinerlei Missionsgespräche an den Krankenlagern. Hindus starben wie Hindus, Moslems wie Moslems. Manche fragten, warum man ihnen helfe – die bekamen natürlich eine ehrliche Antwort. Doch was zählt und oft so wenig verstanden wird, ist, was Mutter Teresa einmal sagte: „Anfangs habe ich gedacht, die Menschen bekehren zu müssen. Doch dann habe ich begriffen: ich soll sie lieben. Und die Liebe bekehrt, wen sie will.“

Morgen Geschichte, doch heute dumm!

Trotz Blog-Pause: eine Beschimpfung will ich hier loswerden.

Wie Kath.net berichtet (LINK), erklärte der Kirchenbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Franz Josef Jung, die katholische Kirche solle sich «dieser wichtigen Frage» zuwenden. Von ihr könne die Zukunft der Institution abhängen.

Nun ist selbstverständlich einem jeden freigestellt, eine Meinung zum Zölibat zu haben. Und ebenso natürlich muss die keineswegs mit der Haltung Roms identisch sein. Man kann dabei sogar gut katholisch sein: der Zölibat ist kein Dogma. Doch es gehört schon eine ausgewachsene, gut abgehangene und über dem Feuer der Selbstverliebtheit geräucherte Portion Dummheit dazu, wenn sich ein Politiker aufschwingt, der Kirche zu sagen, wie man überlebt.

Als Abgeordneter denkt Jung naturgemäß in Zeiträumen von maximal vier Jahren, Minister war er vier Wochen. Die Lebensdauer seiner ganzen Partei erreicht schlappe 80 Jahre; das sind 4% des Lebens der Organisation, der er gerade erklären will, wie man alt wird.
Wenn ein Mann im Vorgarten hingebungsvoll seine Saisonblümlein pflegt und beim Anblick eines 2000 Jahre alten Baumes nicht merkt, dass das etwas völlig anderes ist, darf an seiner Eignung als Gärtner gezweifelt werden. Seine Tipps sind absehbar: der ist ja völlig knorrig und verholzt, der muss dringend auf 50cm gekürzt werden und wenn der im Frühjahr nicht schön kommt, werde ich einen neuen kaufen müssen. So denkt Jung, und er ist überzeugt, nur die Sorge um den Baum treibe ihn. Er offenbart die typische Borniertheit eines Parteipolitikers, der nicht begreift, dass seine Kompetenz Grenzen hat. Der meint, das C im Namen seiner Partei bedeute keine Unterordnung unter die Gemeinschaft Christi, sondern Macht darüber.

Nun, Jung ist samt all unseren Parteien morgen Geschichte, die Kirche hingegen wird es nicht sein. Sie steht sicher, denn sie wird nicht überwunden werden, auch nicht von deutscher spießbürgerlicher „Sorge“.
Nicht als Christ, der seine Kirche schützen will, rege ich mich daher auf. Jung ist keine Gefahr. Nein, es wurmt mich als politisch denkender Mensch, sehen zu müssen, wie viel Borniertheit bei uns wählbar geworden ist.

Freitag, Juli 08, 2016

Ja ja, nein nein.

Nein heißt nein. Eine erstaunliche Erkenntnis, die jetzt sogar ins Gesetz soll. Da sage noch einer, wir seien kein Volk von Denkern mehr.
Die wichtige Sache, um die es dabei geht, ist der Sex. Eine Sache, bei deren Durchführung es allerdings weniger ums Denken an sich geht. Offensichtlich sind wir auch ein Volk von – nun ja, lassen wir das.
Der Anlass zu dieser geradezu philosophischen Herangehensweise an den Sexualtrieb, ein im wahrsten Sinne des Wortes drängendes Thema, ist das gehäufte Vorkommen von Fällen, in denen die Grenze zwischen Beischlaf und Vergewaltigung oder die zwischen Flirt und Nötigung zu verschwimmen beginnt oder massiv durchbrochen wird. Es sind schlimme Dinge, die da geschehen! Zurück bleiben Verletzungen, die es zu vermeiden gilt. Und die Gesellschaft, die sich mit Händen und Füssen dagegen wehrt, dass ihr irgendjemand ins Sexualleben hineinredet, sucht plötzlich nach gesetzlichen Regelungen. Wie soll das zusammengehen?
Man kann erst einmal durchaus eine Logik erkennen: ein großer Freiraum braucht eine starke Grenze, die die Freiheit schützt, indem sie die Unfreiwilligkeit aufs Schärfste sanktioniert: alles ist erlaubt, außer Zwang. Die Folge: da man, so ist es Konsens, nicht vorschreiben will, wer mit wem darf, wird eben geregelt, wer hinterher für was bestraft wird. Klingt komisch? Ist es auch, denn dies ist eine Logik, die nicht greift. Angesichts von Vergewaltigungen führt die gute deutsche Gesellschaft abstruse Diskussionen darüber, wie das verhindernde Nein denn formell auszusehen hat. Sagen? Wehren? Reicht ein Gesichtsausdruck? Oder gar ein ungutes Gefühl danach? Nur in den seltensten Fällen produzieren Gerichte etwas Sinnvolles, wenn sie nachträglich entscheiden sollen, was im Rausch der Sinne legitim war. Es ist absurd. Wie soll man in einem Rechtsstaat, in dem der Beklagte im Zweifelsfall freigesprochen wird, etwas verurteilen, für das es nur die Aussagen der Betroffenen gibt? Unser Rechtsverständnis bedeutet hier schlicht Pech für die Opfer, die keinen Beweis vorlegen können. Doch das kann es ja wohl nicht sein. Die ganze Diskussion geht offenbar am Ziel vorbei.

Vor Jahrzehnten befreite sich unsere Gesellschaft aus der sexuellen Bevormundung. Ihr Argument: man dürfe Liebe nicht verbieten. Doch diese gegenseitige Liebe ist längst nicht mehr Grundlage für Sexualität; schon bald wurde sie reduziert auf das Einverständnis der Partner zum sexuellen Vergnügen. Erlaubt war in den Augen der Gesellschaft, was beiden Spaß macht. Wozu lieben? Der/die hat doch sein/ihr Vergnügen, das reicht. Doch was macht dem Partner Spaß? Was ist erlaubt? Offenbar alles, wozu er/sie nicht nein sagt. Das ist zu wenig? Nun, genau darum scheint es aber zu gehen, denn genau das versuchen wir verzweifelt zu regeln: wie sagt man nein?
Dem Sexualtrieb, einem wilden Gaul, der ohnehin oft kaum zu reiten ist, wurden die Zügel abgenommen: zügellose Sexualität. Doch was als Befreiung gefeiert wurde, ging nach hinten los. Der Gaul tritt um sich und die Gesellschaft, die von einem heißen Rodeo auf seinem Rücken träumte, findet sich unter seinen Hufen wieder und ruft verzweifelt "nein, nein!". Und so treibt die selbstbezogene Leidenschaft im Bett und anderswo ihre traurigen Blüten.

Noch diskutieren wir darüber, wie man einem ausschlagenden Gaul mit einem entschiedenen Nein gegenübertritt. Noch spricht kaum einer aus, was auf der Hand liegt: Sinvollerweise redet man beim Sex vom Ja, aber nicht vom Nein. Die einzig richtige Regel wäre: nur ein ausdrückliches Ja darf die Grundlage sein. Doch damit tut man sich schwer: wie soll man das regeln? Mit einem kleinen Standardvertrag, in dem man vorher kurz gemeinsam die einvernehmlichen Praktiken, Techniken und Hilfsmittel ankreuzt? Mit einer Art Sex-AGB? Und wie dokumentiert man die Einhaltung der Vereinbarung?
Man kann es drehen und wenden, wie man möchte: beim Sex begibt man sich in einen Lebensbereich, der gesetzlich nicht zu fassen ist. In dem die einzige Sicherheit, die man hat, das Vertrauen den Partner/die Partnerin ist. Das Wohl des anderen muss dem eigenen Vergnügen mindestens ebenbürtig sein - eine Haltung, die zwischen Menschen, die sich lieben, selbstverständlich ist. Das Ja muss die Grundlage sein, damit es unnötig wird, ein Nein rechtlich durchzusetzen.
Jeder sexuelle Verstoß gegen das Wohl des Partners ist ein Vergehen, jeder gewaltsame Verstoß ein Verbrechen, sei es körperliche oder seelische Gewalt. Selbstverständlich muss es Sanktionen geben, doch in vielen Fällen wird ein Opfer nicht zu seinem Recht kommen – weder die direkten Opfer von Gewalt, noch die Opfer falscher Aussagen. Ein gesetzlicher Schutz, so wichtig er ist, wird niemals ausreichen.
Deshalb ist die Gesellschaft dringend gefragt, den Gaul wieder einzufangen: ein zügelloser Sexualtrieb, der überall und in jeder Form als auslebenswert hofiert und gepriesen wird, hat mit sexueller Freiheit so viel zu tun, wie Fressucht und Übergewicht mit gesunder Ernährung. Es ist erschütternd, dass die Gesellschaft zunehmende Nötigungen und Vergewaltigungen braucht, um anhand der verursachten Verletzungen langsam den Wert und die Tiefe der Sexualität wieder zu entdecken. Und doch ist es ein kleines Hoffnungszeichen.

Für diejenigen, die nicht warten können, bis die nötige Vertrauensbasis da ist, empfiehlt sich mittelfristig, beim One-Night-Stand für eine ausreichende Anzahl von Zeugen zu sorgen und zur Dokumentation wenigstens eine Tonaufnahme mitlaufen zu lassen. So ist man auf der rechtssicheren Seite. Alle anderen sollten überlegen, ob es vielleicht irgendwo eine Orientierung gibt, in der Sexualität, Verbindlichkeit, Liebe und Vertrauen zusammengehören und man mehr auf den Partner schaut, als auf sich selbst.

Mittwoch, Juni 29, 2016

Wieder hochgeholt

Irgendwie war uns danach, diesen Beitrag wieder einmal hoch zu holen.
Nicht ganz aktuell, aber er passt in die Stimmung der derzeitigen Diskussionen.

Es ist soweit: Herder gerät in Seenot. Nachdem der Prozess gegen Tolkiens Verlage wegen Namensrechtsverletzung („Herder Ringe“) verloren ging, sucht man verzweifelt per Umfrage nach einem erweiterten Kundenkreis. Dabei beschreitet man neue Wege: die Kompetenz der Macher dieser Umfrage wurde durch die Ankündigung eines „Dankeschöns“ ersetzt, das man sich sichern kann, indem man seine Emailadresse hinterlässt. Kaufen statt überzeugen – ein völlig neuer Missionsaspekt! Wie man auf diese Weise für die Kirche arbeiten kann, ist mir unklar. Ich finde das weder kirchentreu noch kritisch, sondern nur zum Kotzen. Oder, theologisch ausgedrückt: hier handelt es sich weder um eine Hermeneutik der Kontinuität, noch eine des Bruches, sondern um eine des Erbrechens.

Da man aber bekanntlich niemanden ausgrenzen soll, hier unsere Antwortvorschläge:

1. Brennen die Anliegen, die die Pfarrer-Initiative in Österreich vorbringt, vielen Gläubigen auf den Nägeln?
Mag sein. Interessanter ist die Frage, ob Nagelbrand dazu berechtigt, Bischöfen Feuer unterm Hintern zu machen.

2. Schaden die vielfältigen Forderungen nach Reformen bei uns der Einheit der Weltkirche?
Ja. Zugleich gefährden sie den Frieden, killen das Klima, schaffen Arbeitslosigkeit und Elend und stürzen Gott in Selbstzweifel. Soviel Selbstbewusstsein muss sein.

3. Gibt es zur Zusammenlegung von Gemeinden aufgrund des Priestermangels heute Alternativen?
Selbstverständlich: mehr Weihen vornehmen. Auf ähnliche Weise könnte man auch den Mangel an Landärzten, Statikern, Fluglotsen und OP-Schwestern beheben. Einfach ernennen.

4. Muss die Kirche vor Ort bleiben?
Natürlich! Nur wer vor Ort ist, kann von dort vertrieben werden. Ohne Kirche vor Ort würden ganze Zeitungen (Donaukurier) Konkurs gehen!

5. Schadet es der Liturgie, wenn Priester viele Gottesdienste an einem Wochenende feiern müssen?
Also wenn ich sehe, wie so manche Liturgie abläuft, meine ich, die können gar nicht genug üben!

6. Sind Wortgottesdienste mit Kommunionempfang am Sonntag eine Alternative zur Eucharistiefeier, wenn kein Priester zur Verfügung steht?
Sind Hochzeitstorten eine Alternative zur Hochzeitsfeier?

7. Sollte die so genannte Laienpredigt auch offiziell möglich sein?
Das würde ihnen den Charme des Aufmüpfigen nehmen. Zudem würde im Siegestaumel der predigenden Laien sofort die Frage laut, warum Hunde ausgeschlossen sind. Dasselbe Gekläff, doch mit was für treuen Augen!

8. Können neue Zugangswege zum Weiheamt die Probleme der katholischen Kirche lösen?
Die Mitarbeiter des neu zu gründenden Weiheamtes prüfen wohlwollend alle Anträge auf Weihe. Die Zugangswege sollten natürlich barrierefrei sein. Frauenparkplätze wären wünschenswert.

9. Sollten wiederverheiratete Geschiedene offiziell zum Kommunionempfang zugelassen werden können?
Der einmal im Jahr im Weiheamt stattfindende Große Kommunionempfang sollte jedermann offen stehen. Mit dem Erlös der Eintrittskarten und der Tombola wird das Hostienbäckereimuseum saniert.

10. Braucht es neue Gottesdienstformen, um auch jüngere Milieus anzusprechen?
Die Frage kann so nicht beantwortet werden, da es zum einen eigentlich keine Gottesdienstform mehr gibt, die noch nicht ausprobiert wurde (siehe auch Frage 5) und zum anderen in den entsprechenden Milieus noch die Abstimmung mit den Luftballons läuft.

11. Müssen die Gläubigen in der katholischen Kirche auf allen Ebenen besser an Entscheidungen beteiligt werden?
Eigentlich nicht. Die offizielle Einführung sogenannter Laiendogmen würde reichen, wenn diese mit der nötigen Autorität und Frauenpower durchgesetzt würden.

Freitag, Juni 24, 2016

Der Brexit ist da.

Der Brexit ist da, und was passiert?
Hofreiter fordert im Fernsehen mehr Demokratie und mehr Geld für Krisenländer. Beatrix von Storch hat „vor Freude geweint“ (widerlich!). Merkel muss weg oder endlich richtig ran, die Linken fordern mehr links, die Konservativen mehr Konservativismus – eben jeder mehr von dem, was er immer schon wollte. Jetzt erst recht.
So bleiben alle in ihren Strukturen kleben. Jeder sieht sich bestätigt. Jeder sagt, Europa müsse zusammenrücken, und meint damit, die anderen müssten näher zu ihm rücken. Niemand hat den Schuss gehört, denn jeder ist überzeugt, dass nur die anderen ihn hören mussten.

Jetzt gehen sie also raus, die Briten. Ab sofort läuft ein großer Teil der Abstimmungen ohne sie. Was wird passieren?
Keiner weiß es, doch eines fällt auf: Dass nämlich nahezu ausschließlich vom Geld und von der Wirtschaft die Rede ist, wenn über die Folgen gesprochen wird. Das Geld steht an erster Stelle. Und weil Europa von seiner Einheit lebt, Deutschland allen voran, wird man es den Briten richtig schwer machen. Man wird dafür sorgen, dass sie es spüren bis an den Rand des Tragbaren, und dass sie es schnell spüren, denn was sollte besseren Schutz vor weiteren Abspaltungen bieten, als diese eine, wenn sie wirtschaftlich misslingt?
Die Loslösung Englands vom restlichen Europa wird tiefer, als man jetzt glaubt. England kann dabei viel größere Probleme bekommen, als geplant, bis hin zu Spaltungstendenzen.
Wirtschaftlich dürfte das daneben gehen, sozial dürfte es ebenfalls sehr schwer werden für das Vereinigte Königreich. Es wird vielen Menschen dort materiell schlechter gehen.
Also ein Fehlschuss?

Ein klarer Fehlschuss, ja, wenn man das als Maßstab nimmt. Doch ist das der Maßstab? Es ist eines der größten Probleme Europas: dass die Vision eines friedlichen und geeinten Kontinents durch die Vision eines reichen Kontinents ersetzt wurde und die Vision von Menschlichkeit durch die Vision von Bürgerlichkeit. Die Aufbauphase eines zerstörten Europas ist im Suchen nach Wohlstand versickert. Übrig bleibt eine trübe Pfütze von „Gib mir genug Geld und ansonsten meine Ruhe“.
Europa ist im politischen Kleinkrieg nicht mehr visionsfähig. Ohne gemeinsame Vision brechen Nationalismen auf. Nicht, weil plötzlich alle braun denken, sondern weil sie schwarzsehen. Europa ist ein steiniger Weg. Wozu sollte man ihn gehen, wenn man kein Ziel hat? Ohne Licht am Ende des Tunnels in Form eines gemeinsamen Ziels jenseits des Wohlstands bleiben nur die Stolpersteine. Doch wozu ständig stolpern, wenn es nichts bringt? Den Krieg hat kaum einer noch erlebt, der Frieden als Vision hat nahezu ausgedient. Egal, wohin man schaut: jeder, der den Frieden beschwört, fordert zugleich harte Worte, klare Kanten, will etliches endlich einmal sagen dürfen und andere Tendenzen sanktionieren. Frieden nach den eigenen Vorstellungen. Und so bleibt als Vision nur die, Europa zu verlassen. Diese Vision trug in Großbritannien den Sieg davon.

Es wird sich zeigen, ob der Preis, den Britannien wird zahlen müssen, lohnt. Doch wenn Europa weiterhin agiert, wie es agiert, wenn es sich weiterhin weigert, die Herausforderungen der Zeit als Vision anzunehmen und kämpferisch anzugehen, wenn Europa sich weiterhin zersplittert, weil jeder besser weiß, wie man mit Geld umgeht, dann war es für die Briten vielleicht der unbequeme Entschluss, ins Rettungsboot zu springen. Dort ist es eng und unbequem und man hat wenig Vorräte. Aber man entkommt dem sinkenden Schiff.

Montag, Mai 30, 2016

Neues Gnadensuhler Interview

Vor einigen Tagen gab es ein neues Interview von Bischof Oesterhagen, Gnadensuhl, anlässlich der verbreiteten Papstkritik. (LINK)

Presse: Exzellenz – wir danken Ihnen für die Gelegenheit zu diesem Gespräch. Ich denke, ich darf Sie wieder Exzellenz nennen – die Fastenzeit ist vorbei.

Bischof Oesterhagen: Bitte nennen Sie mich einfach, wie Sie möchten. Soo wichtig ist das auch wieder nicht mit der Anrede. Clive Staples Lewis wollte Jack genannt werden, ich wollte aus irgendeinem Grund als Kind gerne Mr. Tom heißen. Später wollte ich König sein, mit einem ellenlangen Titel, oder sogar Kaiser. Ich fand das erstrebenswert, besonders wegen der vornehmen Anrede, durch die alle vernehmen könnten, was ich doch wichtig bin. Beckenbauer hat sich diesen Traum erfüllt, aber mit dem wollte ich nicht tauschen. Exzellenz, Herr Bischof, Herr Oesterhagen, Boss – alles ist in Ordnung.

Presse: Äh… gut. Meine erste Frage: Herr Bischof, was halten Sie vom Auftreten des Papstes?

Bischof Oesterhagen: Der Papst… Ach ja. Heidi Klum ist nichts dagegen!

Presse: Wie bitte?!

Bischof Oesterhagen: Haben Sie das denn niemals im Fernsehen angeschaut? Na ja, ich auch nur durch Zufall. Beim Suchen im Teletext nach einer präzisen Wettervorhersage für die letzte Fronleichnamsprozession wollte ich ein weiteres Wettermodell anschauen (sehr interessant!), bin aber bei „Next Model“ gelandet. Hat bei mir ein Donnerwetter ausgelöst und in meiner nächsten Predigt einen Sturm. Aber was wollte ich sagen?
Ach ja, der Papst. In dieser Show ging es darum, junge Mädchen genau zu beobachten und unter die Lupe zu nehmen. Jede Muskelzuckung wurde da zur Schicksalsfrage. Das schlimmste, was denen passieren konnte, war, irgendwelche Erwartungen nicht zu erfüllen. Merken Sie nicht, dass mit dem Papst genauso umgegangen wird, nur noch schlimmer? Der kann doch keine noch so kleine Regung zeigen, ohne dass jemand darin eine Aussage sieht, die über Tod und Leben entscheidet.

Presse: Sie meinen, das Problem ist, dass der Papst die Erwartungen nicht erfüllt?

Bischof Oesterhagen: Wieso? Wozu sollte er das? Und die Erwartungen von wem sollte er erfüllen? Nein. Das Problem ist, dass die Menschen vor lauter Erwartungen nicht mehr hören, was der Heilige Geist der Kirche sagt. Weil sie gedanklich nur noch darum kreisen, wo sie Unterschiede zu ihrer eigenen Meinung finden, oder Bestätigungen dafür. Der Papst ist dann wahlweise nicht mehr richtig katholisch oder die Zustimmung zu dem, was man im Katholizismus schon immer anders haben wollte. In jedem Fall haben sich die Menschen selbst zur letzten Instanz gemacht. Stellen Sie sich ein Schaf vor, das erwartet, dass der Hirte ihm folgt. Und davon ganz viele, die das untereinander ausdiskutieren. Das gibt eine Menge Geblöke, aber keine neuen Weideplätze.

Presse: Aber - entschuldigen Sie diesen Einwand - machen Sie es sich damit nicht sehr einfach? Was viele Katholiken umtreibt, sind wirkliche Einwände. Über die Jahrhunderte hat sich viel ergeben, das gläubig begründet und fundiert regelt, was katholisch und wahr ist. Sollte nicht der Heilige Vater dafür der Garant sein, statt es einfach zu übergehen?

Bischof Oesterhagen: Ach ja, geregelt. Am liebsten würde ich vielen Menschen erst einmal verbieten, sich an irgendwelche Regeln zu halten, seien sie katholisch oder nicht.

Presse: Sie möchten den Katechismus abschaffen?

Bischof Oesterhagen: Nein, ich möchte Ihnen einen schenken. Moment – hier habe ich einen für Sie. Ich schreibe nur eben eine Widmung hinein. Hier, bitte.

Presse: (liest) „Gewidmet: der Liebe. Tu dies, um Gott zu erfreuen, oder lasse es und suche zuerst die Liebe!“ Interessant!

Bischof Oesterhagen: Nein, nicht interessant, sondern essentiell! Wann haben Sie das letzte mal etwas getan, das keinerlei Sinn ergibt, außer Jesus zu erfreuen? Wann haben Sie das letzte mal etwas getan, einfach um Gott eine Freude zu machen? Ihrer Frau bringen Sie Blumen mit, und Gott geht leer aus? Wann hat der, der Sie am meisten liebt, zuletzt ein kleines Geschenk von ihnen bekommen?

Presse: Sie sprechen, als sei es Gott, der Seelsorge brauche. Als brauche er unsere Liebe und nicht wir seine.

Bischof Oesterhagen: Nein. Es ist nur so: am meisten Liebe können wir von dem annehmen, den wir selbst intensiv lieben. Und dazu gehört nun einmal liebevolles Verhalten. Ihre Frau wird Ihnen das jederzeit bestätigen.

Presse: Aber wie soll das funktionieren? Wie soll ich GOTT eine kleine Freude machen? Ich wüsste nicht, was ich da tun sollte!

Bischof Oesterhagen: Sehen Sie – genau das ist der Punkt. Überlegen Sie mal. Wer könnte Ihnen da einen Tipp geben? Ich sage es Ihnen: der Heilige Vater. Über nichts Anderes spricht oder schreibt er: wo finden wir Gott und wie können wir Ihn lieben? Schauen Sie doch einfach einmal auf Ihr eigenes Leben. Sie bringen doch Ihrer Frau keine Blumen mit, weil Sie Angst haben, Sie bekämen sonst nichts zum Abendbrot. Und Sie stimmen mit mir überein, dass Sie dringend eine Eheberatung bräuchten, wenn es um Ihre Beziehung so bestellt wäre. Doch bei Gott glauben Sie, die Liebeserklärung durch Regelungen ersetzen zu können. Nein, erst kommt die Liebe. Immer. Und wenn Sie dann merken, dass Sie Gott lieben wollen, aber nicht gut genug lieben, weil Sie Ihn nicht kennen, dann lesen Sie das Buch, in dem steht, was er mag: den Katechismus. Aber bitte erst dann. Der dient genau dazu: das Band zwischen Ihnen und Gott immer fester zu machen. Versuchen Sie nicht, sich abzusichern! In der Liebe gibt es keine Sicherheit, außer dem Vertrauen.

Presse: Es gibt bei Gott keine Sicherheit?

Bischof Oesterhagen: Nein, nicht die geringste. Wenn Sie sich vollständig in die Hände eines anderen begeben, gibt es keine Sicherheit, außer der Liebe dessen, dem diese Hände gehören. Schauen Sie aufs Kreuz und überlegen Sie, ob diese Liebe vertrauenswürdig ist. Und wenn ja: vertrauen Sie. Sagen Sie Ihm, dass Sie Ihm vertrauen. Und dann, ganz banal: seien Sie nett zu ihm. Die Anleitung dazu steht, wie gesagt, im Katechismus.

Presse: Was möchten Sie also unseren Lesern mitgeben?

Bischof Oesterhagen: Nichts. Ich möchte Ihnen etwas mitgeben, denn Sie sind es, mit dem ich rede. Wenn sich ein Leser angesprochen fühlt – umso besser.

Presse: Was also möchten Sie mir mitgeben?

Bischof Oesterhagen: Den Auftrag, niemals wieder an Gott zu denken, ohne dass die Liebe im Zentrum steht.

Presse: Wie Sie es beschreiben Herr Bischof, habe ich wohl recht oft gegen die Liebe gefehlt. Ich will es versuchen.

Bischof Oesterhagen: Sehen Sie, da sind wir wieder bei der Anrede. Hier wäre ein „Alles klar, Boss!“ noch einen Ticken besser gewesen. Bleiben Sie bitte noch kurz hier und machen Sie das Mikrophon aus. Sie haben da etwas sehr wichtiges erkannt. Haben Sie da noch mehr auf dem Herzen? Für das Bekenntnis Ihrer Schuld würde ich Ihnen gern noch die Absolution erteilen. Was das ist, wissen Sie ja aus dem Katechismus. Wirklich – ein tolles Buch! Richtig gelesen sehr empfehlenswert!

Presse: Danke, Herr Bischof, für dieses Interview!

Donnerstag, April 28, 2016

Feindbild und Diskurs

Die Menge der Konfliktthemen wird immer unüberschaubarer. Die Anzahl der unterschiedlichen Lager kennt keiner mehr. Den Durchblick hat auch niemand mehr.
Viele Personen geben sich aufgeklärt und tragen durchaus interessante Analysen vor, legen ihre Finger in Wunden und fordern Lösungen, die logisch klingen. Je nach eigener Überzeugung findet man natürlich einige dieser Ansätze überzeugend, andere hingegen lehnt man ab, als dumm bis gefährlich. Jeder sieht es anders. Doch gleich welcher Meinung die Menschen sind, haben alle eines gemeinsam: die Überzeugung, dass die Lösung genau in ihrer besonderen Sicht der Dinge liegt.
Eigentlich klingt das für eine Demokratie noch nicht nach einer Krise, sondern nach Diskussionsbedarf. Doch wirkliche Diskussionen gibt es immer weniger, und das ist schlimm. Denn die Stimmung ist gekippt: Irrtum soll nicht mehr aufgeklärt werden, sondern ausgerottet, durch Rücktrittsforderungen, Verbote oder schlimmeres.

Das Problem ist ein Doppeltes: zum einen wird erheblich mehr Energie darauf verwendet, andere Meinungen zu falsifizieren, als die eigene Position argumentativ zu vertreten, was ein demokratisches Ringen massiv erschwert. Daraus resultiert das zweite: die Konzentration auf die eigene Verteidigung (anstatt auf positive Argumentation) schafft eine subjektive Bedrohungslage, in der nicht mehr das andere Denken zum Ziel wird, sondern der Andersdenkende. Und so sind wir längst an dem Punkt angekommen, in dem das Bekämpfen von Menschen moralisch geboten erscheint.
AfD-Wähler sind zu Bekämpfende, Politiker und Parteien sind es und Demonstranten (für jeden natürlich andere), der Papst ist es oder eben seine Gegner. Letztlich jeder. Nicht mehr die Qualität einer Aussage zählt, sondern die Person, die sie macht. Und da es jedem halbwegs intelligenten Menschen problemlos möglich ist, Dinge im gewollten Licht zu sehen, verstärkt jeder Versuch eines ehrlichen Disputs nur die Feindbilder. Der einzige Ausweg, der Dialog, erscheint so nur noch als Schwächung: die Wahrheit stellt man nicht zur Disposition; das wäre ihre Relativierung. Denn diskutiert man auf Augenhöhe, kann nur ein Kompromiss herauskommen. Die Zukunft jedoch erscheint schauerlich, wäre sie ein Kompromiss aus der Summe aller herrschenden abstrusen Meinungen. Das scheidet aus, schon aus Gewissensgründen: der Dialog wird verweigert, weil genau das moralisch geboten erscheint; seine Befürworter werden als dumm und blauäugig angesehen.

Faktisch jedoch ist der Dialog der einzige Weg, Wahrheit zu verbreiten, denn es ist der einzige Platz, in dem nicht nur gesprochen, sondern auch zugehört wird. Nur wo zugehört wird, kann überzeugt werden – der Dialog ist die einzige Alternative zum Zwang. Wer ihn aus Angst vor dem Kompromiss verweigert, sagt letztlich, dass er der eigenen Position so wenig Überzeugungskraft zutraut, dass sie untergehen wird, wenn sie nicht aufgezwungen wird. Wer den Dialog verweigert, predigt Gewalt.
Wir müssen zurück zum offenen Diskurs, damit das Versinken in Feindbildern aufhört, das ständige Drehen um den eigenen Standpunkt, in dem sich erkannte Wahrheit und persönliche Vorlieben vermischen. Wir müssen dringend aufhören, in Feindbildern zu denken! Denn wer in Feinden denkt, landet im Krieg.