Montag, März 25, 2013

Komplementäre Kontinuität


[Peter Esser] Katholische Los Wochos liegen hinter uns. Mitten in den Karneval – ich befand mich sogar im Brennpunkt des Düsseldorfer Straßenkarnevals – platzte die Nachricht vom Rücktritt des Heiligen Vaters, Benedikt XVI. Seit den ersten Tagen seines Pontifikats war Josef Ratzinger irgendwie mein Papst, denn zufälligerweise las ich während des Sterbens Johannes Pauls’ II, der anschließenden Trauerzeit und des Konklaves die »Einführung in das Christentum«.

Dieser Mann, mit dessen Gedankenwelt ich vertraut war, stand auf einmal der universalen Kirche als Vicarius Christi vor. Und dann einen Papst auf der Benediktionsloggia zu sehen, der nicht »Paul« oder »Johannes Paul« hieß, war eine neue Erfahrung. Eine völlig neue Erfahrung des christlichen Lebens war dieses unbefangene Schöpfen aus der geistlichen Tradition der Kirche. Ich begann, die Kirchenväter zu lesen, das Gebet wurde bereichert durch das konsequentere Mitbeten des Tagzeitengebetes. Ja, die Kirche in der Kontinuität ihres Lehrens und Betens war vertrauenswürdig. Das war eine geistliche Erfahrung, die mich innerlich stärkte und seither in meinem Denken und hoffentlich auch in meinem Tun leitete.

Aber ich wußte noch nicht alles von Josef Ratzinger, hatte seine Schriften und Gedanken zur Liturgie noch nicht zur Kenntnis genommen. Alles »Vorkonziliare« war noch ausgeblendet – und wie so vielen Katholiken schien es mir sogar etwas verdächtig. War die Wiederentdeckung des liturgischen Formalismus, des »recte et rite« nicht ein Rückfall in eine alte Gesetzlichkeit? In eine klerikale Arroganz, die notwendig in Widerspruch zu meiner in einer geistlichen Bewegung, der Charismatischen Erneuerung erworbenen christlichen Freiheit, des »du-zu-du« der Gottesbegegnung treten mußte? Im Jahre 2007 kam es zu diesen zungenbrecherischen Akt, dem Motu Proprio »Summorum Pontificum« … und prompt hatte ich mich zu fragen: Gab der Papst den »Gestrigen« mit ihrer alten lateinischen Messe recht?

Doch andererseits hatte ich nie einen Grund gehabt, Josef Ratzingers / Benedikts theologische Linie anzuzweifeln oder gar anzufeinden. Ich beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen und wenigstens einmal eine solche Messe in der Außerordentlichen Form zu besuchen.

Mit dem Erfolg, daß ich meine neue Pfarrei gefunden hatte. Von diesem Weg habe ich ja bereits hier berichtet. Der neue Ritus bleib ja meine Heimat, aber die alte Liturgie wurde eine Gebetsschule; mir mehr und mehr vertraut.

Nun war der Papst also plötzlich nicht mehr … jedenfalls nicht mehr Papst, Statthalter Christi, Diener der Diener Gottes. Wenn man von der Trauer um einen plötzlichen Verlust die Trauer abzieht, bleibt der Schock. Trauer verbot sich von selbst, denn der Heilige Vater war ja nicht tot; er ließ seinen Gläubigen noch zwei viel zu kurze Wochen, sich mit den Gegebenheiten abzufinden.

Jeder geht mit einem schockierenden Erlebnis anders um. Ich wurde still; mein Alltag stellte mich ohnehin vor Herausforderungen, die schwer zu bewältigen schienen. Ich hatte Schwierigkeiten, die immer neuen Letztmaligkeiten anzunehmen: Die letzte Eucharistiefeier im Petersdom, die letzte Audienz, das letzte dies und das letzte jenes. Sogar das tägliche Gebet für den Papst wurde mir fast unaussprechlich: »Wir bitten Dich für unseren Papst Benedikt. Erhalte ihn deiner Kirche und gib, daß sie wachse im Glauben und in der Liebe« – das ging mir nicht mehr so leicht über die Lippen.

Und dann der Mittwoch vor zwei Wochen. Ich hatte die Abendmesse mit einem Freund besucht und das Smartphone mit der Pope-App auf der Bank liegen. Ausnahmsweise einmal. In das Schlußlied hinein auf einmal die Gewißheit: Weißer Rauch. Habemus Papam.

Nichts wie nach Hause; am TV verfolgten wir gebannt, wie sich die roten Samtvorhänge am Balkon bewegten. Bergoglio! – Ja, ich hatte mir bereits während der Sedisvakanz seinen Wikipedia-Eintrag herausgesucht, aber das war es auch – und dann: Qui sibi nomen imposuit Franciscum!

Ein Unbekannter stand auf einmal auf dem Balkon – ich war so verblüfft, daß mir nicht einmal auffiel, wie ungewöhnlich weiß die Gestalt des neugewählten Papstes aussah. Der lange Blick auf die Menschenmenge auf dem Petersplatz, als sei dies die erste Weise des Kennenlernens, das Betrachten. Der fast schüchterne Gruß mit einer Hand (»Hi!« würde ihm später eine Bildunterschrift in den Mund legen), die Augen, die zu fragen schienen: »Wißt ihr, was ich für euch zu tun im Begriff bin?«

Und der Name Franziskus. »Leo« wurde gemutmaßt, könnte ein neues Pontifikat charakterisieren. Einige hatten ja schon auf einen Piuspapst gehofft. Das Neue dieser Wahl und des Auftretens fiel auch einem bekennenden Nichtvatikanisten wie mir sofort auf. Auf die fehlende Mozzetta –ich gestehe es – hat man mich erst bringen müssen.

Aber wie konnte diesem Mann der einfachen Worte nicht meine Sympathie zufliegen? Wie können seine Predigten, die eher Exerzitienimpulsen gleichen, nicht das Herz für die Gegenwart Christi aufschließen? Benedikt und Franziskus, was für eine Regie des Himmels: Zwei Heilige, die für den Aufbau und die innere Reform der Kirche stehen, die mit den Charismen ihrer Gründungen für das Gesamte der Kirche stehen, für eine komplementäre Kontinuität!

Hatten einige Leute gehofft, der Papst würde irgendwann wieder einmal die Tiara, die dreistufige Papstkrone als Zeichen für die Königsherrschaft Christi anlegen, so bleibt jetzt die nüchterne Feststellung: So wenig monarchisch haben wir keinen Heiligen Vater gesehen. In das Lob der Demut und Bescheidenheit vermag ich nicht einzustimmen; denn der Papst ist meines Erachtens nicht bescheiden oder demütig. Er hat nämlich Romano Guardini gelesen, der in seinem Buch »Der Herr« feststellte, daß Demut im eigentlichen Sinne nur Gott selber zukommt. Der Mensch kann dieser Demut gegenüber nur »wahr« sein. In sehr energischen Entscheidungen hat Franziskus deutlich gemacht, daß er vorhat, »wahr« zu sein.

Das Ablegen päpstlicher Insignien steht in einer Tradition der letzten fünfzig Jahre. Das ist nichts radikal Neues, wie einige jetzt glauben. Ich bin sehr gespalten in der Frage, ob hier Wesensmerkmale des Papsttums zu Schaden kommen, aber ich vertraue dem Heiligen Vater. Und überhaupt: Sollte sich die Binde- und Lösegewalt des Papstes sich auf alles beziehen, aber nicht auf die eigenen Schnürsenkel?

»Und unter euch, im Kardinalskollegium, ist auch der zukünftige Papst, dem ich schon heute meine bedingungslose Ehrerbietung und meinen bedingungslosen Gehorsam verspreche.« Diesen Worten »meines Papstes« schließe ich mich aus ganzem Herzen an.

6 Kommentare:

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    1. für uns beide!

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    2. Bis auf die Tatsache, dass ihm sein erstes Lächeln meine volle Sympathie zufliegen ließ!

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  2. Ein schöner Post. Ich bin in Bezug auf die Person des neuen Papstes noch etwas unschlüssig. Aber ich vertraue dem hl. Geist, der die Kirche lenkt und schon wissen wird, was er mit ihr unter diesem Papst vorhat. Wir jetzigen sind immer der Meinung, dass sich alles auf der obersten Bewusstseinsebene abspielt, der hl. Geist erwählt einen Papst, weil der diese und jede Eigenschaft und diese und jene Gedanken, Theologie etc hat. Er ist aber nur das Werkzeug des Herrn, der seine Kirche auf das Heil zuführt. Und dafür benutzt er eben im Moment Papst Franziskus auf eine Weise, die nicht nur für uns überraschend ist, sondern vielleicht auch für ihn selbst überraschend sein wird.

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  3. "Hatten einige Leute gehofft, der Papst würde irgendwann wieder einmal die Tiara, die dreistufige Papstkrone als Zeichen für die Königsherrschaft Christi anlegen"....

    Also, wenn Du so konkret fragst, ich hoffte und hoffe noch!

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  4. Anonym9:31 AM

    Danke für dieses bewegende Zeugnis!

    Und: nein, ich hoffe ganz und gar nicht auf eine Rückkehr zu den päpstlichen Insignien der Vergangenheit. Das, was in früheren Zeiten vielleicht einmal hilfreich und zeichenhaft war, wird heute von den meisten Menschen nur noch als Folklore wahrgenommen und verstellt eher den Blick auf das, wofür die Kirche steht.

    Biggi

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