Montag, Januar 23, 2012

Vom Schatten und der Lüge eines Gebetes

[Peter Esser]

Dieses Gebet fand jemand in einem Gebetsheftchen, das von der Benediktinerabtei Maria Laach herausgegeben wird. In meinem folgenden Kommentar dazu möchte ich einzig zu der Form der Gebetslyrik Stellung nehmen. Ich vermag natürlich nichts über die vermutete gute Absicht der Redaktion zu sagen. Dennoch scheinen mir die folgenden, ernsten Worte angebracht. Dort heißt es:

Gott, freie, lebensbejahende Menschen sind dir eine Freude, weil sie dein Wesen widerspiegeln. Du teilst uns nicht ein in »Normale« und »Verrückte«. Die einzige Norm, die dir wichtig ist, ist das Tun aus Liebe. Lass uns einander nicht in Schablonen einräumen, sondern hilf uns, unnötige Zwänge abzubauen und einen kreativen liebevollen Umgang zu pflegen. Darum bitten wir durch Jesus Christus, der die Freiheit lebte, anders zu sein, als »man« es von ihm erwartete. Amen.





Ich möchte einige Gedanken zu dem obigen Gebet anschließen. Sicher ist es immer wieder eine Freude, unkonventionellen Menschen zu begegnen! Den Massenmenschen, uniformiert und wenig originell, haben wir schon in den bunten siebziger und achtziger Jahren verachten gelernt. Das sind die Ekel Alfreds, die Spießbürger, die Langweiler. Nun aber zum Gebet:

Ein Gebet im Orationen-Stil ist kein frei formulierter Gedanke, sondern eine Anrede Gottes, die repräsentativ für die betende Gemeinde geschieht. Und da passiert – Benediktiner hin, Benediktiner her – viel Unfug. Besonders wenn der eigentliche Adressat des Gebetes gar nicht Gott ist, sondern die Beter über einige Aspekte des Lebens, die dem Verfasser wichtig erscheinen, belehrt werden soll. So empfinde ich auch diese Oration.

Die Gottesanrede, bar jedes Adjektivs (allmächtiger, ewiger Gott), ist ein einfaches »Gott«, auf das man sich schnell wird einigen können. Leider ist diese Form der Gottesanrede sehr üblich geworden. Sie läßt nicht viel Gutes vermuten … ;-)

In einer klassischen Oration wird meist eine Prädikation angeschlossen, die auf ein Festgeheimnis oder eine offenbarte Eigenschaft Gottes Bezug nimmt. Hier dreht sich aber bereits die Gebetslyrik und läßt aus dem Lobpreis Gottes einen Lobpreis des Menschen werden. Die coolen Typen, die das Gebet meint, sind doch so recht ein Abglanz Gottes. Chapeau! Und es ist nicht mehr Gott, der »unserem Tun mit seiner Gnade zuvorkommt«, sondern, wer nur schrill genug und irgendwie auch aus Liebe heraus lebt, dem applaudiert Gott und mit ihm der ganze Himmlische Hofstaat. (In Wirklichkeit klatscht allerdings nur Luzifer.)

Übrigens hat sich die Vorstellung, wer Abglanz Gottes sein könnte, vom Evangelium bis hin zu dieser Form der Pastorallyrik bis hin zum Gegenteil gewandelt. Jesus weist im Evangelium darauf hin, daß die Gefangenen, Armen, Schwachen und Ausgestoßenen das Bild Gottes tragen. Von »freien, lebensbejahenden Menschen« ist da nicht die Rede.

Die »unnötigen Zwänge« und der »kreative liebevolle Umgang« miteinander sind Sprachcodes, die einem unbefangenen Zuhörer zunächst einmal nichts sagen, aber in verschiedenen Kontexten interpretierbar sind. Der Vorteil an solchen Formulierungen ist, daß sie vollkommen der Interpretation des Lesers anheim gegeben sind. Wer den Code beherrscht, versteht, daß es sich bei den unnötigen Zwängen um alte Zöpfe wie zum Beispiel Kirchengebote handelt. Aber das ist natürlich nur eine Interpretation und nirgends im Text wirklich gesagt … usw.

In der Konklusion des Gebets, das formal an die Doxologie unter Anrufung Christi als Mittler des Gebets erinnert, fällt stilistisch das ironisierte und deshalb in Anführungszeichen gesetzte »man« auf. Die Vermutung liegt also nahe, daß es sich nicht um eine Gebetsanrufung, sondern um eine versteckte, pädagogische Intervention handelt. Der Angelpunkt der Doxologie (Lobpreisung) ist also auch nicht die in Kreuz und Auferstehung des Gottmenschen erwirkte Erlösung, sondern ein eher mattes »die Freiheit leben, anders zu sein«.

Damit ist der Schritt in ein pures Nachahmungschristentum gesetzt. Nachahmung jedoch nicht im Sinne der Imitatio Christi. Nachahmung eines Idealbildes, das auf das »Jesuanische« in uns allen projiziert wird. Der Angelpunkt des Glaubens ist nicht mehr der Gottmensch Jesus Christus, sondern das allzu menschliche: »Pardon, die Freiheit nehm’ ich mir.«

Jeder Atheismus ist ehrlicher.

7 Kommentare:

  1. Hervorragend interpretiert und abgetarnt!
    Lässt sich auf unzählige zeitgnössische Beispiele anwenden.
    Danke!

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  2. Volle Zustimmung zu dieser Analyse!

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  3. Du lieber Himmel. Die Doxologie finde ich besonders gruselig:
    Darum bitten wir durch Jesus Christus, der die Freiheit lebte, anders zu sein, als »man« es von ihm erwartete.

    Ich hätte an dieser Stelle unseren eigentlich "unseren Herrn" oder "der in der Einheit des Heiligen Geistes mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit" erwartet. Die Freiheit hätte ich gern.

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  4. Gallus1:46 PM

    Erstaunlich, ein Gebet damit zu beginnen, daß man Gott erzählt, was ihm eine Freude ist. Oder zu sein hat, nachdem Gott seinen obligatorischen Kurs für Führungskräfte in Gender- und Diversityfragen absolviert hat.

    Was für eine Hybris!

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  5. "Du teilst und nicht ein in 'Normale' und 'Verrückte'"...

    Nein, sondern in "Beter" und "Schwafler"... ;-)

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  6. Anonym2:40 PM

    Sehr erhellend! Der Blog gefällt mir sehr gut, vielen Dank dafür.

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  7. Jorge7:30 PM

    Gott, du Urheber alles Guten, du bist unser Herr. Laß uns begreifen, daß wir frei werden, wenn wir uns deinem Willen unterwerfen, und daß wir die vollkommene Freude finden, wenn wir in deinem Dienst treu bleiben. Darum bitten wir durch Jesus Christus.

    rein zufällig aufs Geratewohl - ja, ehrlich!! - aufgeschlagene Oration aus dem kl. StB - Eigentexte Laudes, 33. So im JK.

    Es war der erste Text, der mir überhaupt ins Auge fiel, bin total baff. Ich wollte eigentlich hier gar nichts antworten, sondern nur mal zum Spaß bzw. aus Interesse schauen, wie eine "richtige" Oration aussieht. Aber da sie nun wirklich wie die Faust aufs Auge passt, Thema Freiheit und so, musste ich das einfach hier auch mitteilen.

    Es ist erstaunlich, wie anders sich das "anfühlt". Wie allein das rasche Überfliegen dieser Oration innerlich beruhigt und Frieden gibt, während das Lesen des von dir zitierten Gebets irgendwie total anstrengt ...

    Amen.

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