[Von Bastian]
Es ist erschreckend, wie ich meine. Da findet man eine 130 Jahre alte Mumie eines buddhistischen Mönchs im Lotussitz und untersucht ernsthaft, ob der noch lebt (LINK). Denn er könnte auch, anstatt tot zu sein, sich in Wirklichkeit auf der höchsten Stufe der Spiritualität befinden.
Von diesem Gedanken geht für viele eine merkwürdige Faszination aus, und das ist es, was ich erschreckend finde. Ein Blick auf das Bild reicht, oder besser: sollte reichen, um klar zu machen, dass dieser Zustand nicht erstrebenswert ist.
Wieso? mag mancher fragen. Ist das denn nicht viel besser, als der Zustand vieler Heiliger, die enthauptet, gesteinigt oder durch sonst eine Abscheulichkeit ermordet wurden? Liegt in der freiwilligen Abkehr vom irdischen Leben nicht viel mehr Würde und Demut, als in der erzwungenen? Ist dieser Mönch nicht so sehr bei sich selbst, dass sogar sein Körper unwesentlich wird, weil er im Bewusstsein längst eins ist mit allem anderen? Ist diese Haltung nicht geradezu christlich?
An dieser Stelle wird für mich der erschütternde Unterschied zwischen unserem Glauben und dem dieser Meditationsmönche deutlich: das Christentum ist kein Bewusstseinszustand, den man erreichen kann, indem man sich mehr und mehr hinein versenkt, sondern bodenständige Realität, die man erkennen kann, wenn man bereit ist, dem zu glauben, der sie beherrscht.
Christen meditieren nicht die Heiterkeit, um aus ihr heraus alles leicht und schön zu erleben, sondern sie erkennen, dass alles gut wird, und sind deshalb heiter. Das Paradies der Christen hat seine Substanz außerhalb des eigenen Bewusstseins, deshalb wird es real sein, dort zu leben. Deshalb freuen wir uns, weil der Wein dort schmeckt, und kasteien uns nicht zu Mumien, denen der Geschmack unwichtig wird. Der christliche Märtyrer genießt nicht den Bewusstseinszustand, den er gerade erreichen kann, sondern freut sich auf das, was er geschenkt bekommen wird. Er stirbt nicht, weil ihm das Leben hier auf der Erde gleichgültig geworden ist, sondern weil er etwas hat, das noch besser ist.
Niemals hat Christus gepredigt, alles zu wegzugeben, weil es gut sei, nichts zu haben, oder zu sterben, weil das besser sei, als zu leben. Im Gegenteil: der Verkauf des Besitzes dient dazu, den Acker mit dem Schatz zu erwerben, und der Tod dazu, ins ewige Leben einzugehen. Nicht das Weniger lockt Jesu Jünger, sondern das Mehr.
Der Mönch ist das genaue Gegenteil eines Christen: er erreicht im Tod den lang ersehnten Stillstand und ist dem Leben entflohen, hin in die eigene Erkenntnis. Der Christ hingegen erwartet nach dem Tod das ultimative Leben, voll Realität und Dynamit, das er sich nicht selbst geben kann und das sein Bewusstsein und Erkennen übersteigt und gerade deshalb auf ewig spannend und interessant ist. Der Mönch versucht, sich zu freuen, und aus dieser Freude heraus zu sein. Der Christ erwartet eine Umgebung, die so schön ist, dass er gar nicht anders kann, als sich zu freuen. Der Mönch versucht, mit allem eins zu sein. Der Christ genießt es, vom Rest getrennt zu sein, damit er ihn lieben kann. Der Mönch findet sich selbst, um sich los lassen zu können – der Christ findet Gott und wird von ihm auf ewig festgehalten. Der Mönch macht sich vom Irdischen frei – der Christ erwartet das Irdische, verwandelt in eine Welt, die glücklich macht. Nicht umsonst vergleicht Christus das Himmelreich mit Festen, Tafelrunden, einer schönen Stadt und gutem Essen: die Freude dort hat Substanz, hat einen Grund. Wir werden sie genießen können, nicht hervorbringen müssen, wie der Mönch, der keinen Gott hat, der sie ihm schenkt.
Die merkwürdige Faszination, die von einer Mumie ausgeht, die vielleicht noch lebt, zeigt eine Gesellschaft, die sich selbst entfliehen will. Die davon ausgeht, dass Genuss Lebensqualität ist und der Wert des Lebens folglich der Genussfähigkeit entspricht. Und die im Herzen weiß, dass das so falsch ist, dass sogar eine mumifizierte Einsamkeit besser sein könnte, solange nur das eigene, grausame Sein in seiner Perspektivlosigkeit überwunden wird.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen