Mittwoch, Dezember 21, 2011

Allegorie

[von Bastian]
In dieser Jahreszeit, wenn die Straßen glatt sind, erinnere ich mich immer wieder an meine Zeit als Motorradfahrer. Zur Erklärung: ich habe fast 100.000 sturzfreie Kilometer auf unterschiedlichen Maschinen hinter mir. Nicht zuletzt deshalb sturzfrei, weil ich stets vorsichtig war. Besonders, was die Straßenoberfläche anging.
Man kennt die Haftung der unterschiedlichsten Oberflächen (und ordnet unbekannte vorsichtshalber unter „sauglatt“ ein), bemerkt jeden Oberflächenwechsel, jede Feuchtigkeit. Am Fahrbahnrand erkennt man die Gefahr von Laub- und Erdflecken auf der Straße (Bäume mit Laubverlust? Feldwegeinmündungen? Wagenspuren? Reitschild (Pferdeäpfel!)?). Man erkennt auf große Entfernung Spurrillen und Straßenbahnschienen. Man sieht die Schneisen, aus denen plötzlicher Seitenwind kommen kann, oder auch feuchte Luft bei Frostgefahr etc…
Anfangs ging das bewusst so, später automatisch.
Viele Autofahrer und auch einige andere Motorradfahrer fanden das übertrieben. Alle jedoch, die ich kennengelernt habe und die etwas von der Sache verstehen, die mehr sind als ein cooler Schönwetterfahrer, kennen das ganz genauso. Und es hat funktioniert, trotz vieler Winter-, Regen- und Herbstfahrten zur Arbeit auf schlechten Straßen. Und ich bin froh darüber, denn ein Unfall kann das Leben kosten.

Jetzt übertrage ich das auf die geistliche Welt. Dort kann ein Unfall das ewige Leben kosten. Wie damit umgehen?
Oft habe ich erlebt, wie es von anderen Christen als unnötig, ja ungläubig abgetan wird, wenn jemand sozusagen vorsichtig durch das spirituelle Leben geht. Skrupel und Fundamentalismus sind schnell diagnostiziert und fast noch schneller sind Argumente, die vermeintlich fundamentalistisch sind, als nicht ernst zu nehmen abgetan. Warum?

Warum wird jemand, der die Gefahren des Motorradfahrens aufzeigt, als verantwortungsvoll empfunden, doch jemand, der sie Gefahren der Sünde aufzeigt, schnell als Spaßverderber gebrandmarkt? Meine Freiheit als Motorradfahrer lag nicht darin, die Physik ständig heraus zu fordern, sondern darin, sie zu kennen und zu nutzen, aber auch zu respektieren. Um anzukommen brauchte es 2 Dinge: das Fahren als Ausnutzen dessen, was geht, und das Aufpassen als Akzeptieren dessen, was nicht geht.
Niemand käme als Motorradfahrer auf die Idee, selbst zu entscheiden, welcher Belag gut haftet und worauf man ausrutscht. Als Christen hingegen glauben wir sehr oft, es liege in unserer eigenen Entscheidung, was uns spirituell zu tragen in der Lage ist. Wie kommt das?

Liegt es daran, dass man diesen Vergleich nicht ziehen darf, da das eine mit dem anderen nichts zu tun hat und schlicht andere Gesetze gelten? Nun, sicher darf man den Vergleich nicht überstrapazieren, aber ziehen darf man ihn, denke ich, schon. Er macht vielleicht eine Struktur deutlich, mit der man sich das geistliche Leben scheinbar einfacher, in Wirklichkeit aber gefährlicher macht (wobei sicher mancher bereits die Idee einer Gefahr im spirituellen Leben als falsch empfindet).

Für mich ist die Grenze, die es einzuhalten gilt, eigentlich recht klar – ich kann sie aber nur im gewählten Bild verdeutlichen.
Solange ich mein Wissen dazu einsetze, sicher ans Ziel zu kommen, sind es keine unnötigen Skrupel. Es ist ein freiwillig gewählter Weg mit Sinn, auch wenn andere sagen, man stelle sich an. Wenn jedoch mein Wissen dazu führt, dass ich gar nicht mehr erst in den Sattel steige, weil ja überall Gefahren lauern, hat es mich nicht sicherer gemacht, sondern das Ankommen von vorne herein verhindert. Auch wenn ich nur noch Schritt fahre und aus jedem geöffneten Hauseingang Sturmböen erwarte, dazu möglichst noch jedem, der es nicht hören will, physikalisch nachweise, dass der Gedanke durchaus nicht abwegig ist, dann bin ich kein Motorradfahrer mehr, sondern ein Motorradverhinderer. Dann habe ich Skrupel, denn die helfen der Sache nicht mehr, sondern blockieren sie.
Fahren mit Skrupeln macht keine Freude mehr. Doch ohne Freude sind sowohl der Motorradsattel als auch die Kirchenbank für mich ziemlich unerträgliche Aufenthaltsorte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen