Samstag, November 28, 2015

Leben vor oder nach dem Tod?

Auch wenn Misstände zum Himmel schreien, ist dieser Himmel für viele Menschen keine zufriedenstellende Antwort. „Für ein Leben vor dem Tod!“ lautet folgerichtig ein Slogan, der gern verwendet wird, wenn wieder einmal auf praktische Fragen theologisch geantwortet wird. Wenn man sich vom Heilsversprechen des Glaubens glaubt abgrenzen zu müssen, weil es als billiger Trost erscheint, als Entschuldigung fürs Nichtstun, mehr noch: als Rechtfertigung des kritisierten Zustands.
Doch dieser Spruch tut mehr, als heuchlerischen Glauben anzuprangern (den es leider zuhauf gibt). Er schüttet das Kind mit dem Bade aus, denn lenkt nicht nur den Blick auf Probleme, sondern verstellt zugleich den Lösungsweg: ohne Leben nach dem Tod geht es nicht. Ja, es ist ein Trost, aber einer, ohne den wir nicht leben können. Fehlt das letzte Auffangnetz, taucht das Bedürfnis danach an anderer Stelle auf. Unsere Situation zeigt es nur zu deutlich.

Die ganzen schrägen Gesetze, die derzeit verabschiedet werden, sind nichts anderes als die Aufforderung an den Staat, die eigentlich an Gott gerichtet sein will: nimm mich, wie ich bin, verurteile mich nicht, liebe und erhalte mich. Gesellschaft und Staat treten an die Stelle Gottes, soziale Netze an die Stelle von Liebe und Geborgenheit, Karriere an die Stelle von Verheißung.
Politische Diskussionen werden mit Inbrunst darüber geführt, doch sind sie meist fruchtlos. Kein Wunder, denn hinter diesen Gesetzen und Anliegen steht als Motivation die nackte Angst um das eigene Selbst. Es hat halt wenig Sinn, mit einem Ertrinkenden über den besten Schwimmstil zu diskutieren. Dass er gerade in einer Suppe ertrinkt, die er sich selbst eingebrockt hat, ändert daran nichts.

Der Ertrinkende fürchtet sich zu recht. Es ist schlecht bestellt um das eigene Selbst, fixiert man sich aufs Diesseits. Das Selbst will sein. Es schreit nach Verwirklichung. Doch was, wenn die scheitert? Vor mir das Nichts, nach mir das Nichts – da bleibt nur ein verzweifeltes „Carpe Diem“. Jeder Wunsch, jede Sehnsucht, jedes Bedürfnis: alles wird zur Existenzfrage, denn ich erlange die Erfüllung jetzt in diesem Leben oder nie. Das Leben muss genossen werden, wo immer nur möglich – alles andere ist menschenfeindlich.
Jede Einschränkung muss folglich weg. Endgültigkeiten verbieten sich. Für jeden eingeschlagenen Weg muss es einen Rückweg geben. Familie oder Beruf? Natürlich beides! Ehescheidung? Selbstverständlich. Der Mensch darf nicht begrenzt werden. „Menschenwürdig“ ist nur noch das, was die Möglichkeit zur diesseitigen Verwirklichung bietet. Alles andere wird verboten oder aufgehoben, in der allgemeinen Panik bis hin zum eigenen Geschlecht. Innerhalb dieser Philosophie ist das eine gute Tat. Nur der Tod lässt sich nicht wegregeln. Nach dem Motto „Was ich nicht vertreiben kann, fresse ich!“ verleibt die verzweifelte Gesellschaft sich ihn ein. Seine Endgültigkeit wird kurzerhand zur persönlichen Option umdefiniert: Sterben auf Verlangen. Die eigenen Vorstellungen von Würde bieten die Gründe dafür. Das eigene Ende soll als letzter Akt der Freiheit erscheinen. Der Tod ist besiegt, weil man vor seinem Stachel davonläuft.

Der Hass auf alles, das mir Endgültiges vorsetzt, ist in diesem System nur logisch: das geht mir an die Existenz, denn Endgültiges lässt sich nicht korrigieren, wenn ich anders empfinde! Und damit schließt dieses System der Angst die Lösung aus, denn nur Endgültiges kann mich retten, im Jenseits wie im Diesseits. Nur mit der Hoffnung, die mich übersteigt, kann ich mein Leben riskieren, weil ich scheitern darf. Nur wenn meine Angst um mich selbst nicht das letzte Wort hat, kann ich den Blick wirklich auf Anderes richten. Ich kann dieses Andere höher schätzen, als mich selbst, kann lieben und Genuss durch Glück ersetzen.

Ohne Leben nach dem Tod wird das Leben vor dem Tod zur Qual, der man nur durch Genuss entkommen kann. Genuss ist Glück – diese Lüge will uns eine diesseitige und daher notgedrungen materialistische Gesellschaft einbläuen. Sie will uns verbieten, anderes auch nur zu denken, weil es gefährlich ist. Für sie ist das unerträglich, was uns lebendig macht: das Glück und die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, geschenkt von einem endgültig liebenden Gott.

1 Kommentar:

  1. Kassandra5:22 PM

    Wie sagte Paulus:
    "Wenn Tote nicht auferweckt werden, dann lasst uns essen und trinken; denn morgen sind wir tot. "

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