Dienstag, September 04, 2012

Interessanter, aber falscher Ansatz

[Von Bastian]
Der Europäische Gerichtshof muss prüfen, ob folgende Rechtsauffassung stimmt: das Tragen von Schmuckkreuzen ist kein verpflichtender Teil der christlichen Religionsausübung und ein Verbot entsprechend kein Eingriff in die Religionsfreiheit. (LINK)
Der Gedanke dahinter dürfte sein, dass Religionsfreiheit nicht alles und jedes erlaubt, nur weil es z.B. christlich aussieht, sondern sicherstellt, dass die Essentials der Religionsausübung ohne Nachteile sichergestellt sind. Das klingt erst einmal sinnvoll, zumal sich in diesem Licht auch andere Fälle betrachten lassen. Wenn beispielsweise radikale Islamisten eben nicht jede Verwendung ihrer Symbole in der Öffentlichkeit durch die Religionsfreiheit rechtfertigen können – das ist doch gut, oder?

Ich denke, hier stimmt der gedankliche Ansatz nicht.
Grundsätzlich ist keine Rechtsprechung in der Lage, zu entscheiden, was für eine Religionsausübung essentiell ist und was nicht. Zudem ist Freiheit mehr als die Duldung, dass man eine religiöse Pflicht ausführt. Freiheit enthält die Möglichkeit der Entfaltung. Die wurde hier beschnitten. Mit was könnte sich ein Christ besser schmücken, was zierte ihn mehr als ein Zeichen seiner Erlösung? Das Tragen von Kreuzen gehört für viele als persönlicher Ausdruck zum Glauben. Das zu tun muss man frei sein!
Die Religionsfreiheit ist ein Grundsatz, der von den Bürgern Toleranz fordert: auch wenn ich eine religiöse Überzeugung nicht teile, muss ich akzeptieren, dass andere Menschen offen danach leben. Diese Konfrontation mit der Religiosität anderer muss ich aushalten. Ich muss es, damit diese Menschen frei sein können. Ich muss es aushalten wie das Aussehen und die Stimme anderer, wie deren Auftreten und deren politische Ansichten. Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Im Gegenzug darf selbstverständlich auch ich meine Religion offen leben.
Beschränkungen der Religionsfreiheit können eigentlich nur dadurch zustande kommen, dass ein anderes, hoch anzusiedelndes Recht verletzt wird. So wäre es sinnvoll, das Tragen von Kreuzen zu verbieten, wenn die Träger unter diesem Zeichen zur Gewalt aufriefen. Im Klartext: Religionsfreiheit ist erst einmal ohne Grenzen, wird aber durch andere Rechte beschränkt.

Neu ist in der Diskussion seit einiger Zeit der Ansatz, dass die Religionsfreiheit ihre eigene Beschränkung in sich trägt. Auch der Atheist sei frei, sein Leben frei von Religiosität und religiösen Symbolen zu leben. Diese Überzeugung sei gleichermaßen durch das Gesetz geschützt und müsse in Abwägungen berücksichtigt werden. Daher könne man es nicht immer tolerieren, wenn ein grundsätzlich jeder Patient einer Krankenschwester mit deren Religion konfrontiert werde, weil sie ein Kreuz trägt.
Dieser Ansatz beinhaltet mehrere grundlegende Irrtümer. Zum einen kann man nicht die Abwesenheit von Religion wie eine Religion behandeln. Das Ablehnen einer Einstellung oder Lebensweise ist Teil der Meinungsfreiheit, nicht der Religionsfreiheit. Die Meinungsfreiheit aber zeigt, wie irrig der Ansatz ist. Folgte man ihm, wäre das Beharren darauf, sich keine eigene Meinung zu bilden, nicht nur geschützt (was es selbstverständlich ist!), sondern es wäre Grundlage dafür, dass andere ihre Meinung nicht mehr sagen dürfen, weil das für mich unangenehm ist (was natürlich großer Blödsinn ist!).
Das führt zum zweiten, noch grundlegenderen Irrtum: das Recht, ein Recht nicht in Anspruch zu nehmen, kann kein Grund sein, das abgelehnte Recht zu beschneiden. Das Recht, Atheist zu sein, darf nicht die Ausübung der Religion beeinträchtigen, ebenso wenig wie das Recht zu fasten andere am Essen hindern darf. Anderenfalls hebt sich jedes Recht selbst aus den Angeln. Mehr noch: was Recht ist, wird gerade dadurch, dass es Recht ist, eingeschränkt. Die Freiheit, etwas zu tun, ist so nicht mehr definierbar, weil jede Freiheit ihren eigenen Tod in sich trägt. Das ist die Grundlage zur Diktatur im Namen der vermeintlichen Freiheit und der Freibrief für Verweigerer, alles zu bestimmen.

Diese Verdrehung, dieser falsche Ansatz greift bereits massiv um sich: Das Recht auf Erziehung führt zur Beschränkung der Familienrechte, das Recht auf Leben macht Platz für Euthanasie und Abtreibung, die freie Religionsausübung beschränkt sich selbst. Gut lebt, wer nicht aneckt: Freiheit und political correctness verschwimmen und werden in den Augen der Gesellschaft austauschbar. George Orwell ist nicht mehr sehr weit entfernt.

3 Kommentare:

  1. Anonym12:40 PM

    Da wird nur dann ein falscher Ansatz draus, Stichwort "Familienrechte", wenn man glaubt, dass das Eltern das Recht gibt, mit ihren Kindern völlig nach eigenem Belieben, oder je nach dem Belieben ihrer jeweiligen Religion umspringen zu können. Nicht jedes Erziehungsziel ist wertvoll, oder gar erlaubt. Man stelle sich vor, auch Kinder sind Menschen und haben Rechte, gegenüber ihren Eltern wohlgemerkt . Man nennt das auch Menschenrechte, aber die mussten ja erst in einem Jahrhunderte dauernden Kampf gegen den erbitterten und bis heute dauernden Kampf gegen den Willen der Kirche durchgesetzt werden.

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  2. Dass Rechte durch andere Rechte eingeschränkt werden, wurde ausdrücklich gesagt. Die Menschenrechte der Kinder schränken im Konfliktfall das Erziehungsrecht durch die Eltern ein, siehe oben. Bitte richtig lesen.
    Ich vermute allerdings, dass es bei diesem Kommentar nicht um eine qualifizierte Stellungnahme ging, sondern um einen Aufhänger, an dem man die übliche Leier von Allgemeinplätzen aufhängen kann wie: die Kirche ist gegen Menschenrechte etc.
    Das spricht für sich.

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  3. Anonym9:53 PM

    Vieles, was als Menschenrecht definiert ist, wird von der katholischen Kirche nicht unbedingt als solches gesehen; oft genug als schwere "Unordnung" gegen das Naturrecht, das der Papst in Berlin wieder postuliert hat. Vielleicht ist es bezeichnend, dass der Vatikan, neben wenigen anderen Staaten, die allgemeine Erklärung der Menschenrechte noch nicht ratifiziert hat und ich bin sicher, dass auch seitens der Kirche nicht geplant ist, sich an alle Menschenrechte zu halten, bzw. dies zu gewähren. Ja, ihre letzten Sätze sind völlig richtig. Die Kirche ist gegen (etliche) Menschenrechte. Das spricht für sich.

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