Montag, Februar 29, 2016

Ich fürchte, so sieh es aus

Die Lage im Nahen Osten ist instabil. Millionen von Flüchtlingen drängen aus Syrien hinaus in die Nachbarländer. Sollte die Lage eskalieren und beispielsweise der Libanon im Chaos versinken, besteht die Gefahr, dass Israel in einen Krieg verwickelt wird. Das wäre auch für uns kritisch. Die Türkei als Bündnispartner wäre dann ein zusätzliches großes Risiko.
Es war eine völlig unerwartete und dabei sehr sinnvolle politische Reaktion, diesen Druck durch massive Flüchtlingsaufnahme zu reduzieren. Neben dieser Reduktion wurde dadurch zudem die Blickrichtung geändert. Viele Menschen schauen nach Europa, um dort eine Lösung zu suchen. Ohne diese Hoffnung wäre das Gewalt- und Krisenpotential dort noch viel höher.
Die Lage im Nahen Osten ist gefährlich. Der Versuch, sie zu stabilisieren, könnte helfen, einen großen Krieg zu vermeiden. Sollte das ausbrechen, werden wir uns nach den jetzigen Flüchtlingszahlen zurück sehnen, wenn wir nicht sogar selbst hinein gezogen werden: Stichwort Bündnisfall.
Die Bundeskanzlerin versucht, durch Entlastung der Situation und Einbindung der Türkei die Eskalation zu vermeiden. Europa will jedoch keine Flüchtlinge aufnehmen, zumindest nicht in der Anzahl, wie es nötig wäre: sie sollen draußen bleiben. Wenn sie das nicht wollen und trotzdem versuchen, zu kommen, werden sie zu Gegnern. Dann werden sie früher oder später bekämpft. Die Folgen davon lassen sich nicht mehr kontrollieren.

Ich hätte vom intellektuellen Europa mehr erwartet, als eine derartige Kurzsichtigkeit. Dass der Kontinent, der von der Globalisierung lebt, an seinen Grenzen zu denken aufhört, spricht Bände über seinen Zustand. Dabei reicht das Denken nicht einmal bis an die EU-Grenzen. Nicht einmal den eigenen EU-Partnern wurde und wird vernünftig geholfen. Griechenland ist auf jeder Titelseite, wenn es seine Schulden nicht bezahlen kann, und auf Seite 19, wenn es mit dem Restgeld die Flüchtlinge nicht versorgen kann. Italien wurde mit den Bootsflüchtlingen allein gelassen, auch als es um Hilfe rief. Wir reden stattdessen davon, wie wir einzelne Transitrouten der Flüchtlinge unterbinden können. In der Zwischenzeit werden an den Grenzen Wasserwerfer eingesetzt.
Die Idee geschlossener Grenzen ist absurd. Wir haben langfristig die Wahl, als wohl erste der Geschichte eine Völkerwanderung friedlich abzufedern, die Zeichen zu verstehen und sie unnötig zu machen. Das wird sicher mehr Einsatz kosten, als jetzt irgendein Politiker zuzugeben bereit ist. Möglich ist es, Dinge als erster zu tun. Es hat auch noch niemals ein Land derart seine Grenzen geöffnet.
Flüchtlinge aufzunehmen ist gefährlich? Die Situation eskalieren zu lassen ist viel gefährlicher. Wir haben genug eigene Probleme? Mag sein. Nur, dass das andere Probleme nicht interessiert. Europa muss die Augen öffnen. Die Alternative wird (mittel- oder langfristig) sein, selbst erst isoliert, dann instabil, dann im Krieg und dann Geschichte zu sein.

Mittwoch, Februar 24, 2016

Ich muss mir mal Luft machen!

Ich muss mir mal Luft machen! Eine arrogante Betrachtung der Lage.
Angst herrscht vor der Flüchtlingswelle. Unser Wohlstand und unsere Identität sind bedroht! Sind sie?
Wirtschaftlich: 500 Millionen Europäer sollen ca. 2 Millionen Flüchtlinge aufnehmen, also vielleicht 0,5% der eigenen Bevölkerung, und gehen deswegen in die Knie.
Religiös: 2 Millionen Muslims stellen eine Gefahr für mehrere hundert Millionen Christen dar.
In der Gesellschaft tobt eine Diskussion darüber, was fremdenfeindlich ist und was berechtigte Sorgen sind. Oder besser gesagt geht es inzwischen darum, wer ein Rassist ist und wer ein blauäugiger Trottel.
Ich komme da nicht mehr mit. Offenbar ist es nötig, sich einmal ein paar eigene Gedanken zu machen.

Mir fällt als erstes eine gewaltige Diskrepanz auf. Da ist das Europa, das es zu schützen gilt. Christlich verwurzelt ist es, Freiheit und Wohlstand sind seine Attribute. Nur: sollte es stimmen, dass dieses Europa ein knappes Prozent Flüchtlinge nicht mehr wegsteckt, wäre es gesellschaftlich wie wirtschaftlich eine Ruine, die zu schützen sich nicht lohnt. Ja was denn nun?

Ich werde den Verdacht nicht los, dass hier nicht von den Ursachen her gedacht wird, sondern vom gewünschten Ergebnis her. Und das ist: Wohlstand und die nötige Ruhe, ihn zu genießen. Längst werden bei uns nicht mehr die gewählt, die die Grundlagen für unseren Wohlstand stärken. Wahlen gewinnt man, indem man den Leuten Konsum verspricht. Indem man ihnen beweist, dass es das Beste für alle ist, wenn es ihnen persönlich gut geht. Dass ein reiches Deutschland das Beste ist, was der Welt passieren kann. Und so liest man dann sogar bei Christen, dass Kapital grundsätzlich sozial sei, weil niemand es für sich behalte und es so Wohlstand für alle schaffe, und dergleichen Unsinn mehr. Das ist sehr überzeugend, vor allem, wenn es der sagt, dem das Kapital gehört. Und niemand merkt, dass das Gleichnis des Reichen, von dessen herunterfallenden Krümeln der elende Rest lebt, hier zur Tugend erhoben wird.
Dass man selbst die einzig wahre Adresse für Geld und Finanzhilfen ist, sitzt so tief, dass es bereits für Zusammenhänge blind macht. Die Kosten für die Flüchtlinge sind enorm. Milliarden. „Das wird problemlos bezahlt, aber für uns ist kein Geld da!“ Erstaunlich, dass so ein Blödsinn überhaupt über die Medien verbreitet wird! Kein Flüchtling nimmt das Geld, steckt es ein und lässt es in der Tasche. Er gibt es aus für Kleidung, Essen, Getränke, Möbel und ein wenig sonstigen Konsum. Dieses Geld landet tatsächlich zu 100% in der Wirtschaft und stellt so ein gigantisches Konjunkturprogramm dar. Dieses Programm wäre noch um einiges besser, könnte man den lokalen Faktor stärken. Derzeit schöpfen Ketten wie IKEA erhebliche Teile davon ab. Auch überall dort, wo statt Geld Sachleistungen geboten werden, geht die Investition an der Bevölkerung vorbei direkt in die Kasse des günstigsten Großanbieters. Doch in einer Gesellschaft, in der Geiz geil ist, werden Discounter eben groß.
Diese Betrachtung der Kosten ist die logische Folge der undurchdachten Einstellung „Hauptsache, für mich gibt es Geld und billige Angebote“.

Und was machen die Christen? Wie macht man es, dass man beim gelebten Prassertum und dem Ausgrenzen Hilfsbedürftiger noch in den Spiegel schauen kann? Man konstruiert.
Das Christentum sei kulturstiftend und unterstütze die Ordnung, auch die gesellschaftliche. Beides sei daher zu schützen. Nun, das stimmt erst einmal. Das Christentum ist nicht nur kulturfähig, sondern es bringt sozusagen automatisch Kultur und Wohlstand hervor, wenn es herrscht. Es gab schon viele große und stabile Reiche auf der Welt, doch niemals eine derartige Vielfalt, ein derartiges Wissen und einen derartigen Wohlstand wie in Europa während seiner christlichen Zeit. Soll man das alles aufgeben? Ist das nicht wert, verteidigt zu werden?
Nur: sind denn 10% Muslims für 90% Christen eine Gefahr? Wenn Andersgläubige für eine Religion zur Gefahr werden, deren Wesen die Mission ist, dann stimmt etwas nicht.
Christus sagt nicht: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt, verteidigt seine Früchte.“ Er sagt: „Wer in mir bleibt, bringt reiche Frucht.“
Das Christentum bringt Kultur (und noch viel mehr und Besseres) hervor, weil es in Christus wurzelt. Es wurzelt nicht in Christus, weil man seine Früchte schützt. Wir müssen am Weinstock hängen, um Früchte zu bringen. Wer stattdessen denkt, man müsse die Früchte einlagern und aufheben, damit der Weinstock eine Daseinsberechtigung hat, hat ein Problem. Ohne neue Früchte kann man sich keiner Herausforderung stellen. Bringt das Christentum nichts mehr hervor, wird das Alte irgendwann vergammeln, ohne nahrhaft gewesen zu sein.
Das schlägt sich in der Gesellschaft nieder. Konservativismus, wie er nötig ist, nämlich Treue zum Weinstock, vergeht. Man gibt diese Treue vor, doch man bringt nichts hervor, sondern verwaltet den Besitz. Man erklärt die Traube zum Weinstock selbst, verehrt sie und huldigt ihr. Heraus kommt ein formelhafter politischer Konservativismus, der so nahrhaft und einladend ist wie ein schimmeliger Sack alter Kartoffeln, der macht, dass der ganze Keller muffig riecht, auch wenn man ihn anderen im Zuge der Mission als Partyraum verkaufen will.
Bürgerlichkeit wird mit Christentum verwechselt, Unbeweglichkeit mit Gesundheit und der eigene Angstschweiß mit dem Wohlgeruch des Himmels. Und messerscharf wird geschlossen: der Islam ist stärker als das Christentum und eine Gefahr, wo man doch tatsächlich meint: diese Herausforderung könnte stärker sein als unser Wohlstand. Wäre man in Christus verwurzelt, wüsste man, dass es wieder und wieder neue Früchte geben wird. Dass der Weinstock wachsen muss, nicht sich unser Kühlschrank mit Trauben füllen muss. Das erste, was verginge, wäre die Angst. Und der Blick wäre ein anderer.
Diese Angst, die sich als Glaube tarnt, macht viele Christen unfruchtbar. Sie führt zu der paradoxen Situation, dass viele Ungläubige derzeit den Christen vormachen, was es heißt, der Botschaft Christi zu folgen.
Auch ich habe Angst und bin daher mein eigener Adressat. Ich bin an einen bestimmten Lebensstil gewöhnt. Einen sehr bequemen. Auch ich würde meinen Kindern gern ein Land im Wohlstand übergeben, in dem man ein gutes Leben haben wird. Doch noch lieber übergäbe ich ihnen ein Land, das nicht seinen Kühlschrank verwaltet, sondern liebevoll und zuversichtlich aus Gott heraus handelt und deshalb eine große Zukunft hat.

In diesen ganzen ängstlichen Argumentationen verlieren sich die Menschen. Jeder pickt sich sein Körnchen heraus, betrachtet es ausgiebig von allen Seiten und erkennt, dass alle anderen nicht wirklich aufgeklärt sind, weil sie das Korn nicht haben. Borniert meditiert er es, das Körnchen Wahrheit, bis es ihm offenbart, dass seine Weltanschauung die wahre ist.
Für mich ist das an den ganzen Diskussionen derzeit das einzige, das sich zu betrachten lohnt: die Fantasie, mit der viele das Eigene zur Wahrheit erklären, und die Logik, die sie konstruieren, um zu zeigen, dass Europa Weichei und Held zugleich ist. Fehlt nur noch das sympathisch romantische Europa, der weiche Kern in harter Schale.
Irgendwoher kenne ich die doch, diese Diskrepanz zwischen stark und schwach. Richtig: von Sandburgen. Meine ist die stärkste, aber wehe, du stößt dran! Das christliche Europa ist zu einer Sandburg geworden und fürchtet sich vor der Flut. Mit Recht.

Dienstag, Februar 23, 2016

Interview mit Bischof Oesterhagen

Aus aktuellem Anlass hat sich Bischof Dr. Bernhard Oesterhagen vom Bistum Gnadensuhl (LINK) der Presse gestellt. In der nächsten Ausgabe der Kirchenzeitung wird das Interview zu lesen sein. Wir veröffentlichen es vorab.

Presse: Danke, Exzellenz, dass Sie sich für dieses Interview zur Verfügung stellen.

Bischof Oesterhagen: Gerne, aber bitte nennen Sie mich einfach Herr Bischof. Ich verzichte in der Fastenzeit auf Titel.

Presse:  Herr Bischof, Sie haben bei manchen Menschen einige Irritation ausgelöst, als Sie sagten, Sie seien froh, dass nun im Bistum regelmäßig die „Alte Messe“ zelebriert werde. Ohne diese, so sagten Sie, sei das Bistum nicht vollständig. Was macht den Neuen Ritus unvollständig bzw. was soll am Alten Ritus besser sein?

Bischof Oesterhagen: Es tut mir leid, aber diese Frage kann ich nicht beantworten. Sie ist falsch gestellt.

Presse:  Warum das? Bitte klären Sie mich auf.

Bischof Oesterhagen: Nun, Sie vergleichen in der Frage die beiden Formen des Messritus, als sei da irgendetwas zu bewerten. Genau diese Denkweise – entschuldigen Sie, dass ich deutlich werde – ist jedoch das Problem in vielen Diskussionen, die völlig am Ziel vorbei gehen. Die einzige Frage, auf die es ankommt, ist die: ist Christus zugegen? Ist er im Wort, das wir hören? Ist er leibhaftig in der Eucharistie? Eine Messe wird durch Christus geheiligt. Mit Ihm kann sie nicht wirklich falsch sein, ohne Ihn hilft der schönste Ritus nichts.

Presse:  Wenn das so ist – warum soll dann ohne den Alten Ritus etwas fehlen? Christus ist doch in der Eucharistie anwesend, genauso wie in der Schrift, in der wir jede Messe lesen.

Bischof Oesterhagen: Was fehlt, ist ein Teil der Fülle, die wir besitzen. Was fehlt, ist ein Teil des Zugangs zum Herzen der Menschen, die die Alte Form der Messe besonders lieben.

Presse:  Den Ritus nach dem Menschen auswählen, als sei er ein Service der Kirche für persönliche Vorlieben? Ist denn nicht Gott das Zentrum der Messfeier?

Bischof Oesterhagen: Komische Frage. Selbstverständlich ist Er das. Gerade darum ist es so wichtig, alle zu erreichen, weil Er genau das will. Es wird oft so getan, als sei die Messfeier menschengemacht und richte sich an Gott. Tatsächlich ist das nur ein sehr kleiner Teil der Wahrheit. Gott hat die Eucharistie geschenkt und sie ist für den Menschen. Das feiern wir. Der Ritus ist sozusagen die Tür, durch die Gott eintritt. Dadurch wird er selbst zu einem Teil der Begegnung. Das kann von Menschen nicht gemacht werden. Es ist eigentlich nur verständlich, wenn man begreift, dass Gott in der Kirche wirkt. Wenn es aber Gott ist, der wirkt, haben wir zwei Folgen: zum einen dürfen wir nicht einfach daran herumschrauben, als sei unser eigenes Wirken die Hauptsache. Zum anderen dürfen wir niemals das verurteilen, was Gott selbst heiligt. In keiner Richtung.

Presse:  Sie würden also keiner Form der Messe den Vorrang geben?

Bischof Oesterhagen: Ja und nein. Wie jeder Mensch habe ich Vorlieben, die hier aber nichts zur Sache tun. Abgesehen davon, also sachlich: nein. Wer glaubt, die vermeintlich richtige Messe sei irgendwie wirksamer, behandelt sie, als sei sie eine Art Beschwörungsformel. Wer aber glaubt, Gott beschwören zu können, macht sich zum Herrn über ihn.

Presse:  Herr Bischof, halten Sie es für denkbar, dass…

Bischof Oesterhagen: Ja!

Presse:  Entschuldigung? Äh.. halten Sie es für denkbar…

Bischof Oesterhagen: Ich sagte doch: Ja. Auf jeden Fall.

Presse:  Aber Sie kennen die Frage doch noch nicht.

Bischof Oesterhagen: Muss ich das? Können Sie sich eine Frage ausdenken, die nicht denkbar ist? „Denkbar“ ist alles, und entsprechend wird in der Presse auch alles daraus gemacht, wenn man etwas für „denkbar“ hält. „Bischof Oesterhagen hält es für denkbar, dass…“ – nein, danke. Ich vermute allerdings, Sie wollen mich nach einer Zustimmung oder Einschätzung fragen.

Presse:  …
Herr Bischof, halten Sie es für wahrscheinlich, dass die Kirche mit der außerordentlichen Form des Messritus hinter das 2. Vatikanische Konzil zurück geht?

Bischof Oesterhagen: Dazu braucht es die außerordentliche Form nicht. Wir sind weit hinter dem Konzil zurück. Es wird noch lange dauern, bis wir alles begreifen, was der Heilige Geist und die Konzilsväter uns hinterlassen haben. Sie sind uns weit voraus.

Presse:  So meinte ich die Frage nicht.

Bischof Oesterhagen: Das weiß ich. Sie meinten, ob ich glaube, dass wir uns wieder in den Zustand verwandeln, der VOR dem Konzil herrschte. Nein, das können wir nicht. Schon vergessen? Gott wirkt in der Kirche.

Presse:  Sie haben also am derzeitigen Zustand der Kirche nichts auszusetzen?

Bischof Oesterhagen: Am Zustand der Kirche? Ich halte es mit Mutter Teresa: zwei Dinge müssen sich ändern: Sie und ich. Und ich ergänze um ein Drittes: Ihre Fragen müssen präziser werden, aber das nur am Rande. Die Kirche, das sind wir. Und weil wir es sind, geht jede Kritik zuerst an uns selbst. Wenn ich dann die anderen mit der gleichen Langmut anschaue, die ich selbst benötige, schwindet meine Kritik erheblich.

Presse:  Mit „Wir sind Kirche“ sind Sie ja in bekannter Gesellschaft…

Bischof Oesterhagen: Ja. Nur, dass ich mit denen irgendwie nicht klar komme. In einer Podiumsdiskussion forderten sie, die Kirche müsse sich dringend ändern. Ich fragte nach, ob sie wirklich Kirche seien. Sie bestätigten das sehr vehement. „Ja, dann ändern Sie sich doch endlich, um Gottes willen!“ sagte ich. Das war dann auch wieder nicht richtig. Ich muss allerdings nicht alles verstehen.

Presse:  Herr Bischof, wir danken für dieses Gespräch. Schade, dass immer noch so viele Leute an Ihrer Existenz zweifeln.

Bischof Oesterhagen: (seufzt) Sie sagen es! Wenn ich im Internet bin, denke ich auch immer: das gibt's doch gar nicht!

Mittwoch, Februar 17, 2016

Abholen, wo man steht

Man muss die Leute abholen, wo sie stehen. Klare Sache - woanders kann man sie schließlich nicht abholen. Doch: wo stehen sie nur?

In der Gemeinde ist das klar definiert.
Sie stehen dort, wo:

  • der engagierte Bruder oder die noch engagiertere Schwester sie finden,
  • die Gemeindereferentin es erklärt,
  • der PGR es bschließt,
  • der KV es bezahlt,
  • der Pfarrer es genehmigt
  • und das Bistum es bezuschusst.

Wo kämen wir sonst hin?

Donnerstag, Februar 04, 2016

Lieber Herr Beck!

Nein, homosexuelle Neigungen an sich sind keine Sünde.
Nein, nicht nur Schwule und Lesben sind zur Keuschheit gerufen.
Ja, Gott verzeiht auch sexuelle Sünden. Es sind für ihn nicht die schlimmsten und er ist täglich damit konfrontiert.
Gott ist für jeden da, Herr Beck, wirklich für jeden einzelnen. Gott liebt jeden Menschen und sehnt sich nach ihm. Es gibt niemanden, dem er seine Vergebung nicht schenken würde.
Warum Sie allerdings dieses Geschenk nicht wollen und stattdessen aus der von Gott geschenkten Vergebung eine von Ihnen eingeforderte Zustimmung seinerseits konstruieren, erschließt sich mir nicht.

Sie kritisieren Bischof Schwaderlapp dafür, dass er die Trauung homosexueller für falsch hält und das sagt (LINK).  «Von der frohen Botschaft Jesu und der Liebe Gottes ist in seinen ausgrenzenden Worten nichts zu vernehmen», sagen Sie. Nun, diese Aussage funktioniert nur, wenn Sie davon ausgehen, dass umgekehrt in dieser frohen Botschaft keine ausgrenzenden Worte zu hören sind. Denn anderenfalls wären Bischof Schwaderlapps Aussagen ja durch die Botschaft gedeckt. Leider liegen Sie da falsch: es gibt reihenweise Aussagen, die nicht nur ausgrenzend sind, sondern geradezu verdammend. Zwei sollen hier reichen:
Mt 5,29 Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird.
Mt 23,33 Ihr Nattern, ihr Schlangenbrut! Wie wollt ihr dem Strafgericht der Hölle entrinnen?
Damit können auch wir gemeint sein, Herr Beck, Sie und ich. Das Frohe in der frohen Botschaft besteht nicht darin, dass Gott sagt: „Alles OK!“, sondern darin, dass er sagt: „Du weißt, dass nichts OK ist, aber das kriegen wir zusammen hin!“. Gott ist gut und liebt uns. Das heißt aber nicht, dass er ein Trottel ist, der die Realität nicht sieht und alles klasse findet. Das ist auch gut so, denn ehrlich gesagt wünsche ich mir schon, in der Ewigkeit etwas besser drauf zu sein, als ich es jetzt bin. Das sagt Gott mir zu und bittet mich, Ihm auf dem Weg dorthin zu vertrauen, und das ohne Ausnahme in jedem einzelnen Lebensbereich..

Wenn Sie all dem nicht zustimmen können und Ihr Glaube Ihnen etwas anderes sagt, dann bitte ich Sie, wenigstens zu akzeptieren, dass andere Menschen mit dem gleichen Recht es eben doch glauben. Warum fordern Sie, dass Katholiken aktiv gegen ihren Glauben verstoßen, damit Sie, Herr Beck, Ihre Meinung bestätigt bekommen? Aus demselben Recht heraus, mit dem Sie Ihr Leben leben, lassen Sie bitte auch Katholiken in der Kirche in Ruhe. Wenn jeder seinem Glauben folgen soll, holen Sie sich Ihre Trauungen doch dort, wo sie angeboten werden, und fordern Sie nicht von Dritten, gegen ihr Gewissen zu handeln, weil Sie es für richtig halten. Sowenig Sie der katholischen Lehre folgen möchten, sowenig muss die katholische Lehre Ihnen folgen. Gleiches Recht für alle. Das ist doch einleuchtend, oder?

Wenn Sie, Herr Beck, die Kirche jedoch nicht gleich behandeln wollen, weil sie etwas Besonderes ist und eine katholische Trauung etwas Wünschenswertes und Gutes, dann sollten Sie sich fragen, warum das so ist. Ob es da Dinge gibt, die die Kirche zu etwas besonderem machen? Bevor Sie also denken, dass die Kirche handeln sollte, wie Sie es für richtig halten, sollten sie einen Moment darüber nachdenken, dass die Menschen von der katholischen Kirche getraut werden möchten, und nicht von Ihnen oder dem ZdK.

Sie wünschen sich Barmherzigkeit. Damit sind Sie in guter Gesellschaft. In bester. Als der zweite Sohn nachhause kam, wusste er, dass er alles verloren hatte. Daraufhin hat der Vater ihm alles vergeben und ein Fest gefeiert. Das ist Barmherzigkeit: ein Geschenk. Es ist eine zweiseitige Sache. Der Sohn weiß, dass er sie nicht verdient, und der Vater schenkt sie. Wie Sie daraus eine berechtigte Forderung des Sohns ableiten, der Vater möge bitte das Verprassen des Erbes für gut erklären und ihm erlauben, auch weiterhin so zu verfahren, ist mir schleierhaft! Wollen Sie keine Vergebung, sondern stattdessen Akzeptanz der Sünde? Die bekommen Sie ebenso wenig wie ich.

Und all das, Herr Beck, gilt für jeden. Es hat mit schwul oder nicht schwul nichts zu tun, überhaupt nichts. Nicht das Schwul-Sein Sünde wäre, ist das Problem. Gott arbeitet mit Sündern. Er liebt sie. Zudem: Nicht-Sünder gibt es gar nicht. Das Problem ist, dass hier nicht gewünscht wird: „Segne mich mit Deinem Erbarmen“, sondern gefordert wird: „Segne mich mit Deiner Zustimmung“. Es ist ein grundsätzliches Problem, keines, das speziell die Sexualität betrifft.
Ich habe keinen Grund, Herr Beck, mich für besser zu halten, als Sie. Es geht überhaupt nicht um besser oder schlechter. Vor Gott ist das eine unglaublich lächerliche Frage: jeder braucht Vergebung, und Gott schenkt sie umso lieber, je größer sie sein muss. Das ist Seine Logik. Darum lassen Sie uns in allen Diskussionen und in allem Ringen bitte in dieser Logik bleiben, damit wir vor Ihm bleiben.

Mittwoch, Februar 03, 2016

Wie sagt man die Wahrheit?

„Wieviel ist 2+2? Sag’ die Wahrheit!“ - „4!“ – „Sehr gut!“ Das war einfach.

„Warum lächeln Sie mich so oft an?“ – „Weil ich mich freue, wenn ich Sie sehe!“ – „Wie schön!“ Das war nicht mehr ganz so einfach. Es war die etwas schräge Antwort, die die Heilige Terese von Lisieux einer Schwester gab, die ihr unglaublich auf die Nerven ging: sie freute sich über das Opfer, das sie für Christus bringen konnte (so kenne ich diese Geschichte). „Ich habe ihr nicht gesagt, was ich denke!“ soll sie sich bei Gott dafür entschuldigt haben, der offenbar nicht sauer war. Komisch, wenn man davon ausgeht, dass mit „die Wahrheit sagen“ gemeint ist, man solle mit den Fakten um sich hauen. Nicht ganz so komisch, wenn man begreift, dass es mehr zu berücksichtigen gibt.
Wie also sagt man die Wahrheit?

Anfänger setzen einfach „Wahrheit sagen“ und „Richtiges reden“ gleich. Es kommt ihnen nicht darauf an, ob die Wahrheit beim Gegenüber ankommt – Hauptsache, sie hat ihren Mund verlassen. So wähnen sie sich auf der sicheren Seite und sind gar stolz darauf, dem Gesprächspartner Unangenehmes ungeschminkt ins Gesicht zu sagen: so liegen die Dinge nun einmal; seht, wie ehrlich und sachlich ich bin.
Doch was ist erreicht? Der Gesprächspartner ist verletzt; er wehrt das, was ich mitteilen wollte, ab. Die Sache, die vermittelt werden sollte, ist zum Streitpunkt geworden - ein Mechanismus, der in der christlichen Verkündigung ständig vorkommt. Sich jetzt die Hände in Unschuld zu waschen wäre zu einfach: Die Wahrheit soll verkündet werden, nicht nur dahergeredet. Wer sie sagen will, muss sicherstellen, dass sie so gut wie möglich beim Gegenüber ankommt; anderenfalls ging es ihm nicht um die Wahrheit, sondern um sich selbst.
Dazu aber ist es nötig, den Gesprächspartner zu kennen: wie denkt er? Schließlich muss mein Gegenüber, will ich eine Wahrheit sagen, unter meinen Worten dasselbe verstehen wie ich. Wenn das nicht der Fall ist, suche ich nach anderen Begriffen um den Inhalt meines Glaubens zu beschreiben, oder ich versuche, den Begriff für beide zu definieren. Alles andere ist sinnlos: Begriffe taugen nur, wenn beide dasselbe darunter verstehen. Die Wahrheit ist das, was in guten Gesprächen mit Begriffen transportiert wird, nicht der Begriff selbst. Es hat keinen Sinn, jemandem das Wort Sünde vorzusetzen, der darunter Verurteilung versteht.
Sogar wenn danach gefragt wird: wer verantwortungsvoll verkündigen will, ist mit Begriffen vorsichtig, die falsch besetzt sind, auch wenn sie für ihn selbst noch so klar sind. Wenn ich die Wahrheit sagen will, ist im Gespräch der Partner der Maßstab; meine Dialogfähigkeit wird zur Voraussetzung. Wer sich selbst zum Maßstab macht, redet Richtiges, aber er verkündet nicht die Wahrheit. Gottes Aufgabe für uns ist jedoch die Verkündigung, nicht das Reden.

Dienstag, Februar 02, 2016

So geht es nicht.

[Von Bastian] „Sogar euer Bischof sagt, dass Schwulsein keine Sünde mehr ist“ schreit ein LGBT-Aktivist auf einer Demo. Eine katholische Kommunikationswissenschaftlerin hört das, googelt und findet: „Homosexualität als Sünde darzustellen, ist verletzend“ sagt Bischof Koch doch „tatsächlich“ in einem Interview. Auf Basis dieser beiden Aussagen baut sie daraufhin den neuen „Brief aus Siena“ auf, eine sanft und lieb vorgetragene Ohrfeige an den Bischof, die sachlich schlicht unhaltbar und formal eine Unverschämtheit ist.

Erst einmal die Aussage des Bischofs selbst: Homosexuell zu sein ist keine Sünde. Praktizierte Homosexualität ist Sünde, wie übrigens jede andere praktizierte Sexualität außerhalb der Ehe zwischen Mann und Frau auch. Sogar in der Ehe ist es Sünde, wenn die Sexualität nicht offen für Kinder ist. Der Personenkreis wird groß und ist keineswegs auf Schwule begrenzt. Doch die Kirche unterscheidet eben zwischen Versuchung und Sünde, zwischen Neigung und Handlung. Und sie sagt klar: Neigungen sind keine Sünde. Punkt. Die Aussage des Bischofs für sich ist daher inhaltlich nicht zu monieren.

Daher stellt sich die Frage nach dem Kontext: war der vielleicht falsch? Der Bischof ist mit seiner Antwort offenbar einer Frage ausgewichen, die dazu angetan war, ihn zu einer Aussage zu bewegen, die man ausschlachten kann: „Stichwort Homosexualität: Hält die Kirche gleichgeschlechtliche Partnerschaften für Leben in Sünde?“ Die Frage zeigt klar, dass die korrekte Antwort längst bekannt war; sie enthielt diese Antwort bereits: diese Frage muss man katholisch mit „Ja!“ beantworten oder ihr ausweichen. Bischof Koch ist ihr ausgewichen. Und an dieser Stelle haut die Kommunikationswissenschaftlerin zu.
Die Antwort sei in diesem Zusammenhang faktisch eine Verneinung gewesen. Ihre Rezeption in „diversen Homozeitschriften“, die das offenbar als kirchlichen Freibrief verstehen wollen, sei die Folge. Diese Rezeption hat nach Ansicht der Schreiberin der Bischof zu verantworten. Das faktische Ziel der Schreiberin hier offenbar, dass man sich unterschiedlich äußert, je nachdem, wer es hört und was der damit macht. Also genau das Gegenteil dessen, was sie in Worten fordert.
Der Bischof verschweige die wahre kirchliche Meinung dazu und dementiere auch im Nachhinein nicht. Anlass, ihm lang und breit zu erklären, warum man gegen Regenbogenfamilien sein müsse und was die Kirche dazu sage, als brauche der Bischof Nachhilfe. Beispiele für bessere Kommunikation werden genannt. Es wird ausgewalzt, wie verletzend die Aussage für die sei, die sich an der Lehre der Kirche orientieren. Das ganze gewürzt mit ein paar wissenschaftlichen Untersuchungen, die die eigene Ansicht untermauern. Nur: zu all dem hat der Bischof gar nichts gesagt. Man kann jeden in die Pfanne hauen, greift man ihn für das an, was er nicht gesagt hat. Der „Brief“ ist eine als mitfühlend getarnte Inszenierung dessen, was man für katholisch korrekt hält, aufgebaut als Gegenpol zum Bischof, der damit offenbar nicht katholisch ist. Eine Aussage, die so natürlich nicht gemacht wird, dennoch im Raum steht und bei einer Kommunikations-wissenschaftlerin nur zwei Schlüsse zulässt: entweder ist sie schlecht und weiß nicht, was sie tut, oder sie manipuliert und nimmt dieses Bild bewusst in Kauf, plant es sogar und bedient so mehr oder weniger gekonnt die Ressentiments vieler, denen die Kirche nicht katholisch genug ist. Nebenbei inszeniert sie sich noch als fachliche und menschliche Autorität.

Das ganze Bild des unkatholischen Bischofs beruht nicht auf einer Falschaussage, sondern darauf, dass er ungeschickt kommunizierte. (Man kann darüber unterschiedlicher Meinung sein.) Dass er einer Frage auswich. Daraus aber derartige Interpretationen zu gewinnen geht am Ziel vorbei, und zwar gründlich. Man kann sicher unterschiedlicher Meinung sein, was richtig wäre. Auch ich frage mich immer wieder, ob Mut zum Profil nicht manchmal besser wäre. Ich bin aber auch nicht in der Verantwortung, zu entscheiden. Wenn ein Körperteil leidet, leiden alle – der Bischof wird gut daran tun, keine Aussagen zu liefern, die einer Amputation gleichkommen, auch wenn viele das wünschen.

„Herr Bischof: auch Homosexuelle sind Menschen. Geben Sie als Hirten bitte auch diesen Menschen die Chance, glücklich und heilig zu werden.“ So endet der „Brief“. Starker Tobak. Der Bischof hält offenbar Schwule für Unmenschen oder Tiere? Nur, wenn man der Schreiberin folgt, hat man eine Chance auf Glück und Heiligkeit? An Selbstbewusstsein scheint es nicht zu mangeln. Es ist legitim, um den richtigen Weg der Verkündigung zu ringen. Es ist gut, dass der Chor ein Vielstimmiger ist. Und es ist gut, Bedenken zu äußern, so man welche hat. Doch mit dem Wahrheitsanspruch sollte man vorsichtig sein, will man nicht ins Sektiererische abrutschen. Man kann auch gut katholisch großen Unsinn reden.

Moderne Kommunikationswissenschaft besteht nicht darin, mit freundlichen Worten unverschämte Unterstellungen in die Welt zu setzen. Auch in Watte verpackte Steine sind Steine und schmerzen, wenn man sie wirft. Offenheit (ja=ja, nein=nein) ist etwas Anderes. Stilistisch ist der Brief unaufrichtig. Inhaltlich hat er das Niveau eines Fans, der es stets besser weiß, als der Trainer seiner Mannschaft. Letztlich unternimmt die Schreiberin denselben Versuch, der im Interview unternommen wurde: Herr Bischof, rechtfertigen Sie sich, wenn ich es verlange!
Wäre ich der Bischof – kein Wort würde ich dazu sagen oder schreiben, auch wenn das der Schreiberin entgegenkäme, stärkte es doch das Bild meiner Unbelehrbarkeit. Ich distanziere mich von diesem „Brief“ – ich möchte als Katholik dafür nicht in Mithaftung genommen werden!