Dienstag, August 13, 2013

Zwohundertsiebenundfünfzig, eins bis drei.



[Peter Esser] In Erwartung des neuen Gotteslobs schreibt Alexander Görlach auf dem Blog von katholisch.de von Rohrkrepierern und Gassenhauern – und meint damit Liedgut, daß die Gottesdienstgemeinden seit dem Jahr 1972, dem Einführungsjahr des »Gotteslobs« Generationen von Katholiken geprägt hat. Rohrkrepierer – der Versuch, deutsche Psalmverse im Stil gregorianischer Antiphonen nachzuempfinden (»Freut euch, wir sind Gottes Volk, erwählt durch seine Gnade«); Gassenhauer, die nie wirklich Gassenhauer waren, sondern pflichtschuldigst von Themenmesse zu Themenmesse ihr kärgliches Überleben fristeten – zum Beispiel »Laß uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun«; niemand hat jemals jemanden auf einer Baustelle dieses Lied pfeifen gehört.

Soweit d’accord. Spätestens bei seiner etwas selbstgefälligen Anekdote zur Rettung des abendländischen Kulturgutes – der Schilderung, wie er in der Osternacht der Dorfgemeinde die Liederwünsche des Pfarrers ignoriert und die Missa de Angelis singen läßt, merke ich, daß meine Geduld überstrapaziert ist. Und dann die Erkenntnis: Hier redet einer, der ein Kulturgut retten will – was gut und schön ist –, aber selber der katholischen Praxis »Adieu« gesagt hat. Wie er so treffend sagt, übt er in Hinsicht auf den Gottesdienst Abstinenz.

Keine Frage: Ich hoffe, daß die Zeiten vorbei sind, in denen die Gemeinde genötigt ist, »Suchen und Fragen« (GL 049 AC) als Credolied zu singen. Aber ich plädiere doch dafür, einen Sinn für die liturgische Wirklichkeit zu entwickeln. Auch wenn Christentum kulturschaffend sein soll, geht es NICHT um die Rettung der abendländischen Kultur, sondern um das Heil jedes Menschen, um seine Christus- und Gottesbeziehung. Das »Heil« taucht als Begriff bei Görlach nur da auf, wo er sich mit ironischem Anklang von der zugehörigen Veranstaltung distanziert.

Die reale Fülle liturgischer Formen – auch weltkirchlich – zu realisieren, gehört für mich zur Wahrnehmung der kirchlichen Wirklichkeit. Es geht nicht um ein geschmäcklerisches Verharren in Althergebrachtem – nur um des Verharrens willen. Menschen sind begeistert von den Gesängen, die uns die ökumenische Gemeinschaft aus Taizé geschenkt hat, Liedern, die aus den geistlichen Gemeinschaften Allgemeingut geworden sind. Für mich ist es erstaunlich, daß längst eine Veränderung im Neuen Geistlichen Lied eingetreten ist. Das unerleuchtete »Aggiornamento« der späten sechziger und siebziger Jahre ist passé – in Zeiten explodierender Benzinpreise interessiert niemanden mehr, ob das »Rote Meer grüne Welle hat«. Die Bilder und Ausdrucksweisen dieser Zeit gehören längst ins pastorale Kuriositätenkabinett. Es mag postmodernes Schwelgen ohne Verankerung im tatsächlichen Leben sein, wenn der Weltjugendtagsschlager »Jesus Christ, you are my Life« gesungen wird, aber es zeigt eine Sehnsucht nach Personalität, nach Freundschaft mit Jesus Christus. Jemand, der die Heilsbedeutung der Kirche nicht akzeptiert, wird dafür schwerlich einen Blick entwickeln.

Und wenn wir schon päpstlicher sein wollen als der Papst: In die Osternacht gehört die Erste Choralmesse »Lux et Origo« (GL 410-413), nicht die achte. Soviel Zeit muß sein.