[Von Bastian]
Die Farbe der Reissäcke in China gefällt mir möglicherweise nicht, doch ich beklage mich nicht. Im Gegenteil bin ich der Ansicht, dass die Sackdesigner auf mich gar nicht achten, sondern nur wichtigere Gesichtspunkte berücksichtigen sollen. Bin ich jetzt tolerant?
Erst einmal ist es mir schlicht egal, wie Reissäcke aussehen. Es gibt überhaupt sehr, sehr viel, das mir völlig wurscht ist. Wäre das Toleranz – ich wäre der Tolerantesten einer!
Nur gehört zur Toleranz leider auch eine kleine persönliche Leistung, nämlich das Tolerieren. Etwas, das mir egal ist, brauche ich nicht zu tolerieren, ebenso wenig wie etwas, dass ich gar nicht weiß. Tolerieren muss ich etwas, das mich berührt.
Folglich bin ich tolerant, weil ich Frau und Kinder im Hause dulde? Nein, denn die liebe ich. Ich freue mich, dass sie da sind. Ich muss sie nicht tolerieren.
Berühren allein genügt nicht: es muss eine Berührung sein, die nicht notwendig unangenehm aber doch wenigstens andersartig ist. Eine Berührung, die ich mir so nicht ausgesucht hätte. Akzeptiere ich die als gegeben und lebe mit ihr, ohne dagegen anzugehen, dann bin ich tolerant.
Da ich Katholik bin, gibt es heute selbstverständlich die Nagelprobe: Schwule. Bin ich da tolerant?
Klare Antwort: nein. Denn: ich kann es nicht sein, weil mir erst einmal völlig wurscht ist, wer mit wem in Bett geht. Von den meisten Menschen weiß ich nicht einmal, wie sie sich ihr Liebes- und Sexualleben vorstellen. Es geht mich auch nichts an. Mangels Berührung ist keine Toleranz möglich.
Doch dann kommt das Outing. Da wird es schwieriger. Wer sich als homosexuell outet, sendet mir in dieser Hinsicht eine Botschaft, und zwar eine sehr persönliche. Der Inhalt dieser Botschaft interessiert mich nicht. Keine Berührung, keine Toleranz.
Die Tatsache, dass ich ungefragt mit intimen Details Fremder konfrontiert werde, stört mich hingegen massiv. Es geht mich nichts an und ich will es nicht wissen. Ich empfinde es als unangemessene intime Annäherung von Personen, die mich nicht danach gefragt haben, ob ich das überhaupt will. Da ich jedoch hinter solchen Outings das Recht auf freie Äußerung der eigenen Position erkenne, akzeptiere ich dieses für mich unpassende Verhalten. Da bin ich tolerant.
Doch das Problem ist damit nicht geklärt, denn Toleranz birgt einen inhärenten Reibungspunkt: wer tolerant ist, stimmt damit nicht zu, sondern lässt etwas stehen, das er so nicht hingestellt hätte. Toleranz beinhaltet immer auch den kritischen Blickwinkel, und den muss ich aushalten, wenn ich toleriert werde. Kurz gesagt: der Tolerierte muss, wenn ihn Anders-Denken berührt, die ihm entgegengebrachte Toleranz selbst tolerieren. Toleranz ist zweiseitig – anders funktioniert sie nicht.
Wer selbst intolerant ist, für den ist entgegengebrachte Toleranz unerträglich. Er fordert gegenüber seinen Positionen daher entweder Gleichgültigkeit oder Zustimmung. Hat er zudem ein hohes Geltungsbedürfnis, scheidet die auch Gleichgültigkeit aus. Es bleibt der Schrei nach Zustimmung. Ein ranziger Abklatsch wahrer Toleranz.
Nun haben wir inzwischen eine Gesellschaft, in der viele gar nicht damit leben können, dass mich ihr Sex nicht interessiert. Es stört sie, dass ich da nicht drauf abfahre, und sie versuchen, dagegen vorzugehen. Sie sind mir gegenüber also erst einmal intolerant und alle ihre Handlungen, die auf dieser Haltung beruhen, entspringen dementsprechend ihrer Intoleranz.
Ihr Ziel ist daher auch nicht meine Toleranz. Genau die wird abgelehnt, weil mein Denken falsch ist, da ich nicht interessiert bin. In einer Pervertierung des Toleranzbegriffs erklären sie meine Distanziertheit zur Intoleranz (sie ist das Gegenteil!) und fordern von mir Zustimmung ohne Vorbehalte – nur die sei tolerant. Nur hat das, wie gezeigt, mit Toleranz nichts zu tun.
Vorbehaltlose Zustimmung ist nicht möglich, denn spätestens wenn ich anfange, über meine eigene Sexualität nachzudenken, komme ich zu eigenen Schlüssen. Und genauso, wie die Schlüsse der Fordernden von meinen abweichen können, ist es umgekehrt natürlich auch.
Man muss mir das eigene Denken absprechen, wenn das Konstrukt der zwingenden Toleranz stehen bleiben soll.
Zwingen lasse ich mich aber nicht – ob dies in den Augen der Ranzigen Intoleranz gegenüber dem Zwingenden darstellt, ist mir wieder erst einmal wurscht.
Ich würde das Toleranz-Dilemma mal so versuchen zu umschreiben: Sie können tolerieren, dass ihr Nachbar am Balkon nebenan seinen Gartengrill aufstellt und der Rauch zeitweise zu Ihnen rüberzieht - bedeutet, Sie hätten das Recht dagegen etwas zu tun, tolerieren es aber, weil er Sie ev. hin und wieder auf ein Bier einlädt. Sie können aber NICHT tolerieren, dass ihr Nachbar nebenan mit einem Mann zusammen lebt. Ganz einfach weil Sie das nichts angeht und Sie auch kein Recht hätten irgendwas dagegen zu tun. Ich denke das umschreibt das Problem ganz gut.
AntwortenLöschenNein, das beschreibt das Problem nicht gut, denn es macht die Toleranz abhängig von Rechten. Ich muss nicht tolerieren, was mich stören DARF, sondern was mich stört. Das ist nicht unbedingt deckungsgleich.
AntwortenLöschenSollte mich das Zusammenleben zweier Männer stören, wäre es gut, wenn ich in der Lage bin, es zu tolerieren. Die Idee, ich könne das nicht tolerieren, würde bedeuten, dass ich in dem Moment keine eigene Meinung mehr haben darf, wenn etwas geregelt ist. Das aber ist die exakte Definition von gesellschaftlichem Stillstand.
Sollte mich das Zusammenleben der beiden stören (und es KANN passieren, dass man sich an etwas stört, das einen nichts angeht!), sollte ich im Gegenteil gerade in der Lage sein, es zu tolerieren.
Toleranz ist für mich das Zurückstellen des Subjektiven hinter ein erkanntes Faktum. Ich nehme mich zurück, weil ich es für besser halte. Nicht, weil ich gezwungen wäre (das wäre Diktatur und keine Toleranz), und auch nicht, weil ich herablassend gnädig meinem Gegenüber Rechte einräume, die ich ihm auch nehmen könnte.