Johannes Hartl hat die Frage nach der Beurteilung des
Klimawandels gestellt. Ein paar Gedanken dazu.
Bei der Beurteilung des Klimawandels gibt es einige
grundsätzliche Probleme.
Eines: die fehlende Beobachtbarkeit im Detail. Es gab jedes
einzelne der Phänomene schon so oder ähnlich in früheren Zeiten. „Hier und
jetzt sehen Sie den Klimawandel an dem und dem Phänomen!“ – diese Aussage verbietet
sich daher.
Weiterhin: die fehlenden Vergleichsmöglichkeiten. Sollte es
das Phänomen geben, ist es in der Zeit der wissenschaftlichen Beurteilung
Neuland. Es gibt keine empirischen Daten, auf die man Phänomene zurückführen
könnte, sondern nur Modellberechnungen. Jede Verifizierung ist damit schwer.
Zudem: wissenschaftlich gibt es wohl keine einzige Theorie,
zu der es nicht auch mindestens eine plausibel erscheinende Gegentheorie gibt.
Wie soll man nun etwas beurteilen, das sich nicht plausibel
darstellen lässt, nicht einmal konkret vorhersagbar ist und zu dem es Gegenstimmen
gibt? Hier ist auf die Struktur der Diskussion zu achten, die in großen Teilen
am Problem vorbeigeht. Dabei ist die Gesellschaft eigentlich mit einer solchen
Problematik vertraut. So gibt es Lungenkrebs bei Rauchern und Nichtrauchern.
Anfangs reagierte die Tabakindustrie genau wie manche in der Gesellschaft
jetzt: solange eine Erkrankung nicht ausdrücklich auf das Rauchen zurückgeführt
werden konnte, wurde die Verbindung als nicht erwiesen betrachtet und mit
diesem Einzelfall gleich der ganze Zusammenhang angezweifelt. Gegentheorien
wurden präsentiert und wissenschaftlich untermauert. Doch dann wurde klar, dass
es Zusammenhänge gibt, die sich durch Häufung zeigen, ohne dass der Einzelfall
beweisbar wäre. Der größte Teil der Gesellschaft hat das begriffen. So gesehen
könnte man sarkastisch fragen, wie viele vernichtende Stürme die Welt erleben
muss, bis man die Häufung als Symptome eines Wandels akzeptiert. Doch dann wäre
es zu spät: Handeln ist angesagt, bevor
der Klimawandel sich klar manifestiert. Voraussetzung: es gibt ihn, er ist menschengemacht
und man kann etwas Sinnvolles dagegen tun. Da gibt es eine Menge Konjunktive.
Allerdings: eine unbekannte Gefahr wird nicht dadurch
ungefährlich, dass man feststellt, dass man noch nichts Genaues weiß. Ein
Luftfahrtingenieur, der errechnete Gefahren für Flugzeuge ignoriert, bis es zu Abstürzen
kommt, landet im Gefängnis, selbst wenn er als Grund anführt, das Problem habe
sich so noch nie gestellt und er habe deshalb keine verlässlichen Daten gehabt.
Der gesunde Menschenverstand lässt uns ein Brett über den Brunnen legen, bevor ein Kind hineinfällt. Das Fehlen
von Beweisen mag ein Schwachpunkt in der Verstehbarkeit des Klimawandels sein –
ein Argument gegen das Handeln ist es nicht.
Was aber ist mit Beispielen, die eher das Gegenteil der
düsteren Prognosen nahelegen? Das prognostizierte Waldsterben hat so nicht
stattgefunden. Das kann man nun interpretieren, wie man möchte. Tatsache ist,
dass die Ursachen mit einigem Erfolg bekämpft, aber keinesfalls vollständig
beseitigt wurden. Tatsache ist auch, dass es Schäden gab und gibt, die jedoch
weit hinter den Prognosen zurückbleiben. Manche sehen darin ein Indiz dafür,
dass es in der Natur größere Selbstheilungskräfte gibt, als in der Panikmache
anerkannt wurde. Andere sehen darin gar einen Beweis dafür, dass derartige
Prognosen substanzlos sind, dass sie möglicherweise gar bewusst falsch in die
Welt gesetzt wurden. Wieder andere finden es ermutigend, dass man etwas
bewirken kann. Die Frage, die bleibt, ist die Übertragbarkeit. Wieder gilt: das
hatten wir noch nicht. Ist der Wald ein Indiz für den Sinn von umweltbestimmtem
Handeln oder eines dafür, dass genau das überflüssig ist? Oder, um ein Bild zu
wählen: befinden wir uns auf einer Straße, auf des es gilt, voranzuschreiten,
und der Klimawandel ist ein unverantwortliches Ausbremsen? Oder befinden wir
uns auf dünnem Eis und nehmen die Tatsache, dass wir noch leben, gerade als
Indiz dafür, dass auch die nächste Scholle trägt, obwohl viele warnen, sie sei
zu schwach?
Unser Problem ist, dass wir das im Letzten nicht wirklich
wissen. Keiner von uns.
Worauf also sollen wir unser Urteil stützen? Es gibt zwei
sehr verschiedene Dinge, die mir da plausibel erscheinen.
Zum einen: es gibt bessere Indizien als den Wald. In der
Natur gilt, dass ein System umso empfindlicher auf Störungen reagiert, je
stabiler es normalerweise als System ist. Pflanzen, die regelmäßig großen
Temperaturunterschieden ausgesetzt sind, vertragen in dieser Hinsicht einiges.
Pflanzen, die immer im gleichen Klima leben, sind empfindlicher. Das stabilste
System, das wir haben, sind die Meere. Schon deshalb, weil sie so groß und
damit träge sind, dass Veränderungen sich nur sehr langsam vollziehen. Folglich
haben sich die dort lebenden Wesen an extrem stabile Verhältnisse gewöhnt und
mussten kaum Toleranz gegen Abweichungen entwickeln. Vielleicht am spektakulärsten
sind da die Korallenriffe; der artenreichste Lebensraum der Erde, angepasst an stabile
Temperaturen, die bis zur Grenze ausgereizt werden. In diesem Zusammenhang
googele man einmal die Stichworte reef, coral und bleaching: in den letzten 50
Jahren starben über 80% des Great Barrier Reefs, dass 50.000 Jahre lang wuchs. Im
Indischen Ozean schwinden die Riffe. Die Malediven, einst ein Paradies, sind
großenteils von toten Riffen umgeben. Es wird manche Insel ihre Existenz
kosten, da die natürlichen Wellenbrecher fehlen. Es wird die Fischerei
beeinträchtigen, weil die Kinderstuben der Fische fehlen. Und es kostet die
Welt ein unersetzliches Stück Vielfalt und Schönheit. Die Ursache ist
wissenschaftlich untersucht und klar: Das Wasser wird zu warm.
Kein Beweis für unsere Verantwortung, aber ein starkes Indiz.
Es passt ins Bild, das vorhergesagt wurde und erhöht dessen Plausibilität auf
traurige Weise. Das Riffsterben ist für mich ein entscheidender Punkt: davon
brauchen wir nicht noch mehr.
Damit bin ich beim zweiten für mich entscheidenden Punkt: es
gibt ein Motiv, das handeln lässt, ohne das letzte Beweise vorliegen: die
Liebe. Eine errechnete Gefahr für meine Kinder, eine unbekannte Bedrohung für
meine Frau ließen mich als Familienvater handeln. Eine Schöpfung Gottes, von
Ihm geliebt, über die ich verantwortlich eingesetzt wurde, muss ich schützen.
Wie man da argumentieren soll, ohne dass es pathetisch oder
schwülstig klingt, weiß ich nicht. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie
man die Augen vor der Vernichtung von so viel Schönheit verschließen kann, mit
dem lapidaren Hinweis, das habe es schon immer gegeben. Nein, es gab das noch
nie, denn diesmal ist es mir anvertraut, was da vernichtet wird. Auch wenn es
Feuer schon immer gab, will ich nicht zusehen, wie mein Haus bedroht wird. Da
tue ich lieber etwas Überflüssiges, als dass ich Notwendiges auslasse. Wenn der
mögliche Beweis das Eintreten eines Unglücks ist, besteht die Tugend des
Handelns darin, nicht erst auf diesen Beweis zu warten.
Man kann dem entgegenhalten: So lässt sich die Menschheit
mit erdachten Bedrohungen steuern, wie man möchte. Doch man kann auch sagen:
schaut auf die Riffe und überlegt, ob ihr wirklich mehr davon wollt. Wer eine
Lebensgefahr bewiesen haben will, ist erst dumm und dann tot.
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