Dienstag, Oktober 18, 2016

Die Pilotenfrage

Vor etlichen Jahren war ich in der Ausbildung zum Fluglotsen. Ich habe sie damals nicht beendet, sondern mich umentschieden. Doch ich bin weit genug eingestiegen, um mitreden zu können.
Das Thema „Konfliction“ war damals immer präsent – der Fall, dass zwei Flieger den Mindestabstand unterschreiten. Im Grunde erst einmal harmlos, die Mindestabstände sind so groß, dass sie einiges an Sicherheit bieten. Aber: jedes der kleinen Targets auf dem Radarschirm stand für 100 oder mehr Menschen. Der Alptraum war, etwas zu übersehen und so eine Kollision zu verursachen, eine Belastung, der man bereits in der Ausbildung durch psychologische Pflichtveranstaltungen zu begegnen versuchte.
Doch nicht der Unfall war unser Hauptthema, sondern die ständig drohende Rechtsunsicherheit. „Wenn etwas schief geht, setzen sich Experten monatelang zusammen und finden in endlosen Debatten heraus, was Sie in wenigen Sekunden unter Stress entscheiden und wissen mussten.“
Das war unsere Situation auf den Punkt gebracht. Und davor hatte jeder Angst, denn jeder wusste, dass seine Kapazitäten begrenzt waren und einer solchen Untersuchung niemals standhalten würden.

Das Problem, das in dem gestrigen Film völlig ausgeblendet wurde, war dies: kann ich ein unvollkommenes Werkzeug nach seinem Versagen überhaupt an perfekten Maßstäben messen und beurteilen? Oder, um den Menschen nicht zum Objekt zu machen: darf ich Personen, die naturgemäß Grenzen haben, in Situationen schicken, in denen diese Grenzen sichtbar werden, um sie danach an Gesetzen zu messen, die diese Grenzen gar nicht berücksichtigen?
Es ging um die Frage, ob sich die Passagiere in Gefahr bringen, wenn sie ein Flugzeug besteigen. Besser wäre es um die Frage gegangen, ob sich der Staat in Gefahr begibt, wenn er Menschen in derartige Extremsituationen bringt. Er tut es, und er tut es offenen Auges, denn er besteht aus Menschen. Wenn sich aber ein Mensch bereit erklärt, sich solchen Situationen auszusetzen, braucht er dazu den Rückhalt des Staates, auch wenn eine Katastrophe geschieht. Die Würde des Menschen wurde ausdiskutiert auf dem Rücken eines Menschen, dem man sein Menschsein absprach, indem man Perfektion von ihm forderte. Wo waren der Mediziner und der Psychologe, die erklärten, wie in einer solchen Situation der Stress wirkt? Die ganze Diskussion war aufgesetzt und in sich falsch.

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