[Von Bastian]
Dunkel fängt es an. Der Glaube ist das eine – das Leben das andere. Der Glaube ist frei, das Leben hingegen hat seine Zwänge, also hat das Leben Vorrang. Heraus kommt Unschönes. Beruflich durch die Umstände gezwungen muss ich vielleicht verkaufen, wovon ich weiß, dass es Geeigneteres gäbe, muss Konkurrenten verdrängen, und sei es in die Arbeitslosigkeit, zumal wenn sie besser und damit gefährlich sind, muss mich in den Vordergrund drängen, um, andere möglichst verdeckend, selbst gesehen zu werden, muss gleichsam töten, um zu leben. So geht es in allen Bereichen, ungern natürlich; niemand tut so etwas gern. Doch gern oder nicht – ich tue es. Verschreckt von mir selbst nehme ich die Moral zu Hilfe, wandele mit ihr meine Sünden wenigstens optisch in gute Taten; so mobbe ich nicht, sondern stelle Mobber ins Abseits, ich verdränge nicht, sondern bereinige, rede nicht schlecht, sondern beklage nur, die falsch über andere reden (und stelle damit klar, dass nur Üble Übles über mich verbreiten; jeder soll wissen, wo er mich und die einzuordnen hat). Kurz, ich kaufe das vermeintlich gut erscheinende, doch zahle in der geforderten Währung der Weltlichkeit, sammle Werte auf einem Konto des Gutseins, von dem ich doch nur wieder Weltliches abheben kann (auf das ich dennoch nicht mehr verzichten möchte), und verstricke mich immer tiefer in dem, was ich eigentlich ablehne. Das ist so – machen kann man da nichts. Täte ich das nicht, geriete ich selbst ins Hintertreffen: getrieben, andere nicht zu behandeln, wie ich gern behandelt würde, muss ich ihnen stattdessen antun, was sie sonst mir täten: Nur einer bekommt den Deal. Was du nicht willst, dass man dir tu, füg‘ vorsichtshalber andern zu – die Goldene Regel, wie nicht die Bibel, sondern das Leben sie schreibt, von dem unsere Gesellschaft lernt: die sich wie die Letzten benehmen, werden die Ersten sein. Wer ist da gerne Außenseiter? Christus allerdings muss ich mit ein wenig Gewalt in ein derartiges Gedankensystem zwingen und ihm einen Platz zuweisen, an dem er, gut sichtbar zwar für das Gewissen, nicht stört.
Dunkel fängt es an. Der Glaube ist das eine – das Leben das andere. Der Glaube ist frei, das Leben hingegen hat seine Zwänge, also hat das Leben Vorrang. Heraus kommt Unschönes. Beruflich durch die Umstände gezwungen muss ich vielleicht verkaufen, wovon ich weiß, dass es Geeigneteres gäbe, muss Konkurrenten verdrängen, und sei es in die Arbeitslosigkeit, zumal wenn sie besser und damit gefährlich sind, muss mich in den Vordergrund drängen, um, andere möglichst verdeckend, selbst gesehen zu werden, muss gleichsam töten, um zu leben. So geht es in allen Bereichen, ungern natürlich; niemand tut so etwas gern. Doch gern oder nicht – ich tue es. Verschreckt von mir selbst nehme ich die Moral zu Hilfe, wandele mit ihr meine Sünden wenigstens optisch in gute Taten; so mobbe ich nicht, sondern stelle Mobber ins Abseits, ich verdränge nicht, sondern bereinige, rede nicht schlecht, sondern beklage nur, die falsch über andere reden (und stelle damit klar, dass nur Üble Übles über mich verbreiten; jeder soll wissen, wo er mich und die einzuordnen hat). Kurz, ich kaufe das vermeintlich gut erscheinende, doch zahle in der geforderten Währung der Weltlichkeit, sammle Werte auf einem Konto des Gutseins, von dem ich doch nur wieder Weltliches abheben kann (auf das ich dennoch nicht mehr verzichten möchte), und verstricke mich immer tiefer in dem, was ich eigentlich ablehne. Das ist so – machen kann man da nichts. Täte ich das nicht, geriete ich selbst ins Hintertreffen: getrieben, andere nicht zu behandeln, wie ich gern behandelt würde, muss ich ihnen stattdessen antun, was sie sonst mir täten: Nur einer bekommt den Deal. Was du nicht willst, dass man dir tu, füg‘ vorsichtshalber andern zu – die Goldene Regel, wie nicht die Bibel, sondern das Leben sie schreibt, von dem unsere Gesellschaft lernt: die sich wie die Letzten benehmen, werden die Ersten sein. Wer ist da gerne Außenseiter? Christus allerdings muss ich mit ein wenig Gewalt in ein derartiges Gedankensystem zwingen und ihm einen Platz zuweisen, an dem er, gut sichtbar zwar für das Gewissen, nicht stört.
Seine Aufgabe ist, die schöne Verpackung zu sein, der buntglänzende Lack auf meinen Verstrickungen, denn alle eigenen Untaten zum Sachzwang zu erklären und so als Notwendigkeit zu bejahen, mit dem Religiösen aber, das von dieser Wirklichkeit abgekoppelt wurde, äußerlich aufzuhübschen, das ist der übliche Versuch. Gott bekommt Zutritt zu dem Bereich, in dem ich ihn mir zu leisten vermag, finanziell wie gesellschaftlich. Eine Art spirituelles Steckenpferd, ein Luxus, den ich mir und meinem Gewissen geistlich gönne. Ich faste bei vollem Kühlschrank und spende vom vollen Konto, in dem Wissen, dass ich es mir erlauben kann. Doch als Hobby taugt der Glaube nicht. Er eignet sich nicht als Zuckerguss auf einem ansonsten weltlichen Leben, denn die Oberfläche ist nicht sein Platz; er drängt nach innen und in die Tiefe, will nicht auf Basis von Anderem existieren, sondern selbst Fundament sein. Christus, das Licht der Wahrheit, lässt sich nicht beliebig fokussieren; es breitet sich aus, will überall hin. Er tut uns nicht den Gefallen, das eine zu beleuchten, das andere aber nicht, auch wenn wir beim Versuch, theologisch und seelsorgerisch auf der Höhe der Zeit zu sein, ihm genau das vorzuschreiben trachten. Jeder Scheinwerfer, und sei er noch so ausgerichtet, erleuchtet zugleich immer ein wenig von der näherem Umgebung und – schlimmer noch – er setzt das Dunkel erst richtig in Szene. Nichts macht den Wald in der Nacht so undurchdringlich finster, wie eine Taschenlampe es tut. Auch wer schon einmal im Dunklen tauchte, kennt es: Der kleine Lichtkegel, den man mit seiner Lampe produziert, ruft vor allem die schwarze Tiefe des Ozeans ins Bewusstsein und lässt einen die Weite des Abgrunds spüren, über dem man schwebt. Man ahnt, dass nur ein paar Meter entfernt, am Rande des Sichtbaren, große Schatten vorüberziehen und wieder im Dunkel verschwinden, kaum erkennbar; man sieht sie nicht, aber weiß sie ganz nah. Was dabei für den Taucher noch eine Gänsehaut mit Genuss sein mag, ein Spiel mit der eigenen Angst, ist für einen Schiffbrüchigen, der mit einer trüben Funzel im Meer treibt und kein Floß findet, ein Albtraum. Die Angst ist real, die Gesellschaft irrt, wenn sie uns mit Büchern, Filmen und Tabus einbläuen möchte, es sei alles gut: Wir sind der Schiffbrüchige.
So finster es klingt – geradeso ist es mit jedem von uns. Es gibt den Bereich, den ich sehe, und drum herum all das, was zu mir gehört, ohne dass ich es anschauen möchte. Manchmal ahne ich schwach, dass der Unterschied zwischen einem Verbrecher und mir wohl darin besteht, dass ich nur symbolisch über Leichen gehe, doch in düster-klaren Augenblicken beginnen diese Leichen lebendig zu werden und mich zu verklagen: uns gibt es wirklich, und wir werden dir begegnen. Es ist der Moment, in dem die Schatten durch den Lichtkegel ziehen; jetzt ist unser ganzer Wunsch nur, möglichst schnell zum gewohnten Denken zurückzufinden, in dem die Notwendigkeiten des Alltags so wohltuend den Abgrund überdecken. Fort, Glaube, aus Bereichen, die dir nicht Zustehen! Das zu beleuchten ist unangemessen, es ist ungesund!
Ein Irrtum, wenn auch einer, der gern begangen wird, um unliebsame Gedanken loszuwerden. Ungesund ist nicht die Entdeckung der Wahrheit darüber, wie weit ich mein innerstes, verunstaltetes Wesen gottlos im Dunkel lasse. Das ist noch Erkenntnis, bitter zwar, doch echt. Die Fehler beginnen in dem Moment, an dem ich glaube, zuerst komme das Aufräumen, danach erst Christus, das Licht; er wolle und dürfe nur scheinen, wo alles schon hell ist. Das aber wäre ein Zirkelschluss, der uns gefangen hält, eine Falle, die leider nur zu real ist, bestückt mit einem perfiden Köder: der Angst, dass Gott uns nicht vollendet, sondern fertig macht, falls wir uns unfertig zu ihm kehren.
Mit Schuld beladen geht es sich schwer durchs Leben, besonders wenn zum Gewicht der eigenen Taten noch der Zuckerguss kommt, der dick sein muss, damit man auch ein wenig nachbohren kann, ob unsere zur Schau getragene Anschauung denn echt ist. Den ganzen Leichen, die unseren Weg säumen, begegnen wir auf diesem Gang wieder. Man begegnet sich immer zweimal, heißt es, beim Treffen und bei der Abrechnung. Sie kommt, ob wir sie wünschen oder nicht, am für sie angemessenen Ort: bei Christus am Kreuz. In ihm sammeln sich alle Schulden und Anklagen, alle Ängste und Leichen, doch nicht als Vorwurf, sondern aus wunderbarem Grund: er liebt uns und jeden Einzelnen leidenschaftlicher, als wir selbst es können, er war und ist uns und jedem unserer Opfer innerlicher, als wir selbst es sind. Was wir Anderen zudachten, traf zehnfach ihn. So macht ihn die Liebe zum Hauptbetroffenen; er wurde von uns mehr verletzt als die Menschen, auf die wir zu zielen glaubten, wir töteten ihn gründlicher, als die Leichen, die wir im Keller begruben, doch er lebt. Die Begegnung mit unseren dunklen Tiefen, die wir fürchteten, ist da, mitten in seiner Hinrichtung, deren Henker wir sind. Der Delinquent ist unser Hauptgläubiger, durch Liebe zugleich Herr über unsere Schulden und Opfer unserer Taten, die sich hier unverhüllt zeigen; nur er kann jetzt noch entscheiden, was die Folgen für unser Tun sind. Und es geschieht: Während er sterbend alles durchleidet, was wir ihm antaten, willentlich oder nicht, spricht ein Mensch ihn an, der mit ihm sterbend das eigene boshafte Leben erkennt, er sagt nur zu ihm: „Du hattest recht, denk an mich!“ Und er bekommt dafür das Paradies.
Die Liebe endet nicht am Kreuz, das wir aufrichteten, sondern vollendet sich dort, will nichts Trennendes mehr wissen. All unsere zwielichtigen Intentionen und Taten realisieren sich auf Golgatha, um vergeben zu werden, gerade da, wo sie ungeschminkt ihr Wesen zeigen, denn nur dort ist die Vergebung vollständig. Das auferstehende Ostern ist der Tag der Abrechnung, Erlass der Schulden die Antwort auf unsere Dunkelheiten. Mag sein, dass wir im Licht von Christus vor der Größe des Abgrundes in uns erschrecken, mag sein, dass Arbeit ansteht, doch unheimlich ist es nicht mehr und auch nicht gefährlich, denn alles wird von nur einem erhellt: dem Wunsch, uns zu heilen und zu lieben. Der weite innere Ozean, bedrohlich in der Finsternis, wird uns zum farbenprächtigen, fischreichen Grund, zum Reichtum und zur Fülle.
Gott, es mag erstaunlich erscheinen, liebt uns samt dunklem Abgrund, denn was für uns die größte Bedrohung ist, das persönlich Abscheuliche, ist für ihn unerlöste Freude. Genau das will er von uns haben, genau dort will er hin. Wir sollen nicht geheilt werden, wo wir gesund sind, sondern wo wir krank sind, eine theologische Banalität, die einem aber leichter als angemessen über die Lippen kommt, ist doch der Arzt, der uns untersucht, säubert, näht, einrenkt und operiert, wo es weh tut, nicht gern gesehen. Wir glauben, er verurteile uns, wenn er angesichts unserer Verletzungen zischend die Luft einzieht, er strafe uns, wenn er therapiert, und wolle uns los sein, wenn er uns erst einmal für eine Zeit ins Bett steckt; ihn beschuldigen wir für den Schmerz, nicht die Erkrankung. Lieber wäre uns eine Art religiöser Diätberater, mit dessen Anleitungen zum ausgeglichenen, moralischen Leben wir unseren Zuckerguss pflegen und sogar mit ein paar Kirschen verzieren, damit wir auch einmal naschend „sündigen dürfen“, ohne wirklichen Schaden zu hinterlassen. Lieber ein guter Mantel, unter dem wir unsere Verletzungen behalten können, ohne das jemand daran rührt. Finger weg von meinen Dunkelheiten! Die Angst ist so groß, dass wir den Abgrund in uns eher selbst verurteilen, als erhellen zu lassen, um dann in dunklen Stunden aus dieser verurteilten Tiefe heraus Gott für seine Strenge zu verklagen; wir schließen den Vorhang und beschimpfen dafür die Sonne. Doch so verpassen wir, worum es geht. Wir verzichten auf den strahlenden Ozean, zu dem hin Christus uns erlösen möchte, denn weniger als das ist die verheißene ewig sprudelnde Quelle in uns nicht. Wir verzichten darauf, weil wir es uns einfach nicht vorzustellen vermögen: Dass so viel Licht und Freude auf uns warten könnte, bewusst erlebt, wie wir jetzt in unseren schlimmsten Träumen an Dunkelheit in uns ahnen, und noch viel mehr: Gott wird uns wachsen und Frucht bringen lassen; nicht umsonst werden Fromme von ihm mit Bäumen verglichen. Ein Blick auf das Kreuz würde uns helfen, aber davor schrecken wir zurück; dort wissen wir unsere eigenen Taten unverhüllt und fürchten, der Anblick werde uns erst recht tief in die Dunkelheit stoßen. Doch diesen Mut brauchen wir, um erstaunt festzustellen, dass genau da das Licht der Vergebung strahlt, das nur darauf wartet, dass wir ganz hineintauchen. Das Dunkel wird hell.
Teilwahrheiten sind Taschenlampen, die die Dunkelheit vertiefen; kein Mensch braucht sie noch, wenn es Tag wird. Christus, beschränkt auf ausgewählte Bereiche unseres Lebens, inszeniert die Finsternis des Restes, doch nur, damit wir ihm gestatten, weiter vorzudringen, immer tiefer in uns den Morgen anbrechen zu lassen, bis das Fundament von allem Licht ist. Einzig gefährlich, ihm das nicht zu erlauben: Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel, einer, der einen Luxusglauben hatte, als falsche Grundlage, auf der er sein Leben Baute. Er will seinen Zuckerguss gerettet wissen, nicht aber sich alles vergeben lassen, denn es ist der Boden, auf dem er steht; gerade durch die Vergebung fällt er ins Bodenlose. Tragisch ist es, nur - keiner von uns, der das nicht selbst erlebt. Doch ist das Gleichnis erst mit den Nachsätzen vollständig: Petrus erkennt, dass diese Schuld jeden verurteilt, und tut das Entscheidende; er spricht es aus, stellt sich auf die richtige Seite, die des Sünders, blickt auf Christus. Und Christus ist es, der verheißt: Was dem Menschen unmöglich ist, das ist Gott möglich.