[Ein älterer Text, der mir selbst gefällt.]
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie der Mensch zum Sein kommen kann: Schöpfung oder ein Weg ohne Schöpfung. Die Alternative hat Folgen.
Woher komme ich?
Angenommen, es gibt den Schöpfer. Wie vollzöge sich eine Schöpfung? Da sind die unterschiedlichsten Dinge denkbar. Jedes individuelle Ding und Wesen könnte sozusagen eine Einzelanfertigung sein. Der Schöpfungsakt könnte aber auch im Anstoß einer Entwicklung bestehen, die alles Gewollte hervorbringt: Der Beginn ist der Urknall, aber Gott hat es knallen lassen, und er wusste, was er tat. Auch allerhand Zwischenstufen sind denkbar. Auf jeden Fall aber wäre das, was ist, gewollt, wie es ist, und da, weil es gewollt ist.
Angenommen, es gibt keinen Schöpfer. Wie vollzöge sich eine Nicht-Schöpfung? Steven Hawking berechnete, dass das Universum keinen Anfang hat, weil im Urknall die Zeit erst beginnt und es daher kein „vor“ dem Universum gibt. Dasselbe gelte für sein einzig mögliches Ende – einen erneuten Zusammensturz. Es gibt weder ein „vor“ oder „nach“, noch ein „außerhalb“ des Universums. Es ist einfach da. Seine Entwicklung folgt den Gesetzen, die es hat, ohne dass diese Gesetze gewollt wären – auch sie sind einfach da. Diese Gesetze sind anfangs der Zufall, später die Qualifikation. Die Entwicklung aufgrund dieser Gesetze nennt man Evolution. Sie läuft so ab, dass sich (logischerweise) das weiterentwickelt, was dafür am besten qualifiziert ist. Dass man existiert, ist nicht gewollt, sondern ein Zeichen von Erfolg: man hat sich als eine von unzähligen Möglichkeiten durchgesetzt.
Was bin ich?
Angenommen, es gibt den Schöpfer. Der wäre dann Herr über die Schöpfung. Selbst wenn er seiner Schöpfung die völlige Freiheit ließe – er hätte zumindest festgelegt, was die Schöpfung ist, indem er sie so geschaffen hat. Die Frage, was ich eigentlich bin, wäre am sinnvollsten dem Schöpfer gestellt. Der könnte mir sagen, was mein Wesen ist, und ich hätte in seinem Wort einen Wegweiser, den zu befolgen mich tiefer in meine Freiheit und zu mir selbst führen würde. Um recht zu leben, müsste ich meinem Schöpfer folgen. Mein Leben hätte einen Sinn, weil es ein Ziel hätte. Ethik wäre das Erkennen des Ziels, Moral die Wegbeschreibung zu meinem Schöpfer.
Angenommen, es gibt keinen Schöpfer. Dann wäre ich grundsätzlich mein eigener Herr. Wegweiser auf meinem Weg durchs Leben kann nur meine eigene Beurteilung aufgrund meiner eigenen Erfahrungen sein. Was ich wirklich bin, kann ich nur selbst entdecken. Der Sinn meines Lebens wäre letztlich das Leben selbst, wenn man das einen Sinn nennen will. Um recht zu leben, müsste ich mir selbst und meinem Leben folgen. Ethik wäre die Erkenntnis, wie sich das Leben weiter entfalten kann, Moral die Wegbeschreibung hin zu mir selbst.
Wohin gehe ich besser nicht?
Angenommen, es gibt den Schöpfer. Was mir dann nicht passieren sollte, ist der Versuch, mein Leben abseits seiner Ideen zu gestalten. Da ich selbst eine dieser Ideen wäre, bedeutete jede Trennung vom Schöpfer einen Konflikt in mir selbst. Jeder Irrtum würde mich von meinem Ziel, nämlich ihm, entfernen.
Angenommen, es gibt keinen Schöpfer. Was mir dann nicht passieren sollte, wäre, in eine evolutionäre Sackgasse zu geraten. Aus dem Sieger würde der größtmögliche Verlierer.
So weit, so vereinfacht.
Was heißt das jetzt für mich?
Ich sollte mir klar sein, wo meine Lebensvorstellungen angesiedelt sind, und sie im Licht meiner Überzeugungen betrachten.
Die Folge eines gelungenen Lebens in der Evolution ist der Arterhalt: Erfolg ist, Nachkommen mit Nachkommen zu haben. Wenn man es einmal so in den Grundzügen beleuchtet, wird deutlich, dass es für die Ideen wie die der Kinderlosigkeit in der evolutionären Logik keinerlei Grundlage gibt. Kinderlosigkeit trägt gleichsam als Tatstrafe die totale Exkommunikation in sich: wer keine Nachkommen hat, stirbt, und das gründlich: er stirbt aus. Homosexualität beispielsweise oder auch jede andere Art von Ausstieg aus der Entwicklungskette sind evolutionär gesehen Sackgassen. Sie werden gnadenlos aus dem Weg geräumt. Es gibt nur einen erfolgreichen Weg: den der Fortpflanzung, denn er erhält das einzige, was in der Evolution Bestand haben kann: den Genpool, die Art. Der Einzelne ist bedeutungslos. Hmm…
Vor Gott hingegen ist Kinderlosigkeit durchaus eine Möglichkeit. Nicht das Leben selbst ist der Maßstab, sondern das rechte Leben gemäß dem Willen des Schöpfers. Eine Schöpfung hat Platz für individuelle Lebensentwürfe. Gott hat Interesse am Einzelnen. Man braucht keine Kinder, um geliebt zu sein: es gibt viele Wege. Hmm…
Wenn es also überhaupt einen Platz geben kann, an dem beispielsweise Homosexualität vertretbar ist, liegt dieser Platz im Religiösen. Irgendwie scheinen die Dinge anders zu liegen, als sie gemeinhin dargestellt werden.
Was heißt das jetzt allgemein?
Wie also gehen Religion und Evolution mit Dingen um, die nicht ins System passen?
Die Religion hat es einfach: sie kennt Fehler und Systemabweichungen. Man nennt sie Sünde und Schuld. Sie offenbaren das System als Bereich, von dem man sich entfernen kann. Umkehr und Vergebung ermöglichen die Rückkehr ins System. Schuld und Sünde ändern im Grundsatz nichts. Das System bleibt und bietet dem Einzelnen Orientierung. Der Weg mündet in die (hoffentlich gelingende) Ewigkeit.
Die Evolution hat es noch einfacher: es gibt gar nichts außerhalb des Systems (solange man keine Schöpfung nachweist). Alles, was es gibt, ist alleine deshalb richtig sein, weil es existiert - schließlich hat es sich als evolutionärer Vorteil entwickelt. Fehlentwicklungen gehören zum System wie Weiterentwicklungen. Die einen verschwinden, die anderen bleiben. Wenn man in der Evolution eine Sünde formulieren wollte, wäre es die der Fortpflanzungsunfähigkeit. Die Evolution antwortet auf solche Abweichungen einfach und gnadenlos mit dem Todesurteil. Die Evolution bietet dem Einzelnen keinerlei Orientierung. Sein „Überleben“ besteht bestenfalls im Weiterbestehen seiner Art. Wenn er sich aus dem Genpool kegelt, erfährt er das Schicksal der totalen Bedeutungslosigkeit: nichts bleibt von ihm.
Drei Möglichkeiten...
Wie gehen die Menschen damit um? Warum argumentieren die Menschen, die sich am stärksten für „individuelle Lebensentwürfe“ stark machen, dann nicht religiös? Warum berufen sie sich auf eine Logik, die sie ausrottet? Der Grund ist einfach: die Evolution lässt sie zu Lebzeiten in Ruhe. Sie hat Zeit und begnügt sich mit dem natürlichen Wegsterben. In ihr regieren Arten und Genpools – das Individuum ist belanglos. Die Religion hingegen stellt den Menschen in eine Verantwortung, die das tägliche Leben betrifft. Man kann nicht tun und lassen, was man will. Oder besser: man kann schon. Nur dass man die Folgen selbst tragen muss.
Man hat also drei Möglichkeiten. Man kann sich der Evolution entsprechend sinnvoll verhallten und mich vermehren, oder man kann machen, wozu man gerade Lust hat und sich naturwissenschaftlich als Verlierer outen, oder man kann sich dem Schöpfer unterwerfen und verantwortlich sein.
... und ihre (unerwünschten) Folgen.
Viele Menschen wollen nichts dergleichen: keine Kinder, kein Verlierertum und vor allem: keine Verantwortlichkeit vor Gott (weil sie die als lästige Abhängigkeit empfinden). Sie suchen „Selbstbestimmung“ und, wenn sie den Mut haben, über sich nachzudenken, dafür eine Rechtfertigung. Doch hier begehen sie einen tragischen Irrtum. Sie suchen nämlich nicht Rechtfertigung vor Gott dafür, was sie sind (die ließe sich finden, und sie ist großartig!), sondern Rechtfertigung vor sich selbst dafür, wie sie sind.
Die Religion scheidet so von vorneherein aus, denn in ihr bin ich zwar grundsätzlich gewollt, doch eben verantwortlich dafür, wie ich bin. Bleibt nur die Evolution, die plötzlich alternativlos ist und sich so von der Theorie zum Paradigma wandelt. Sie muss daher passend gemacht werden, koste es, was es wolle.
Auf Stammtischniveau geschieht dies durch Behauptungen. Da werden Dinge geltend gemacht wie ein „Schwulengen“. Banale Einwände wie „Ein Gen, dass die Vermehrung verhindert, wäre doch sofort aus dem Genpool verschwunden“ werden freundlich übersehen oder aggressiv verteufelt (was mangels Teufel nicht einfach ist, dafür um so lautstärker). Besonders in intellektuellen Kreisen wird viel über Evolution geredet, doch wenig darüber gewusst. Man stellt sich darunter eine Art permanenter Inzucht vor: ein paar Starke überleben, während der Rest wegstirbt. Dass da nichts zusammenpasst, ist egal: man ist wissenschaftlich, und da sind die Dinge eben komplizierter.
Diese Komplikationen bekommen die Menschen mit Wissen zu spüren, die Wissenschaftler, die etlicher Kunstgriffe bedürfen, die Idee der Nicht-Vermehrung als Vorteil für den Arterhalt darzustellen. Geradezu komödiantisch ist der Versuch, ernsthaft zu behaupten, Gene, die zur Nicht-Vermehrung führen, hätten sich durch Selektion durchgesetzt. Die wenigsten Menschen haben eine Vorstellung davon, was man inzwischen aus der Evolutionstheorie geworden ist: es ist eine Sammlung von Teiltheorien, die oft kaum vereinbar sind, die Sonderfälle zur Regel erheben und tausend Gründe dafür finden, dass Unzulänglichkeiten und Widersprüche eben doch zutreffen. Doch was tut man als Wissenschaftler nicht alles, wenn man seinen Job behalten will und Gott gegenüber keine Verantwortung hat: auf ein wenig Unsinn kommt es da nicht an, wenn das Publikum ihn doch so sehr wünscht.
Und jetzt?
Das, was der Kirche jahrelang vorgehalten wurde, nämlich dass sie die Tatsachen nicht zur Kenntnis nehmen will und entgegen sinnvoller Einwände ein ideologisches Weltbild gegen die Vernunft aufrecht erhält – genau das kann man heute life in wissenschaftlichen Kreisen bewundern. Die Wissenschaft tut etwas, was ihr zutiefst zuwider läuft: sie beobachtet nicht, um daraus Schlüsse zu ziehen, sondern sie sucht nach Beweisen für Schlüsse, die vorher feststehen. Gegenargumenten wird dementsprechend nicht sachlich, sondern ideologisch begegnet: man wolle wohl wieder ins Mittelalter zurück und eine flache Erde propagieren, sei ein Kreationist (incl. aller negativen Eigenschaften), sei homophob und dergleichen hochkarätige Einwände mehr. Die Evolutionsforschung wäre heute wahrscheinlich viel weiter, wenn sie nicht ständig das Ergebnis vorweg nehmen würde.
Und damit sind wir am Ende angekommen. Wenn Du den Schöpfer glaubst, tust Du gut daran, den Glauben zu bewahren. Selbst wenn Du dich irren solltest, ist Dein Glaube derzeit die offenere, beweglichere und damit für die Wahrheit freiere Haltung.
Wenn Du nicht glaubst, solltest Du dich bemühen, das wirklich ehrlich zu tun und die Konsequenzen zu sehen. Gib Dich nicht damit zufrieden, dass andere Dir erzählen, nicht zu glauben legalisiere, was der Glaube verbiete. Halte Dich nicht daran fest, alles sei gut, weil es da ist. Die Evolution, die Dir den Grund liefert, wird Dich auch auf die Folgen blicken lassen. Es ist der Blick in den Abgrund völliger persönlicher Bedeutungslosigkeit. Unglaube führt geradewegs auf das Abstellgleis der Evolution. Dass Du dort machen kannst, was Du willst, liegt nur daran, dass nicht einmal sie sich noch darum kümmert. Die vermeintliche gesellschaftliche Reputation, die Du fühlst, ist die Anerkennung durch Haltlose, die Belanglosigkeiten beklatschen. Nach Dir die Sintflut? Nein, nicht einmal das. Nach Dir gar nichts. Du bist ausgeschieden. Die Evolution hat Dich abgeschrieben – Gott nicht.