Der offene Brief „Eminenz Marx, I have a dream“ (
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Ich könnte eine Antwort darauf mit den Worten beginnen: Liebe, sehr geehrte Frau Bonelli, Sie als Studentin der Kommunikationswissenschaften schreiben so weiblich intuitiv, überlegt und tief, dass ich armer Architekt eigentlich nur mehr… schweigen kann. Nun, ein Blick auf die Länge dieses Beitrags zeigt, dass ich genau das nicht vorhabe, genauso wenig wie die Autorin des oben verlinkten offenen Briefes es vorhatte. Ein solcher Anfang dient dazu, das Folgende als klein und etwas demütig hilflos hinzustellen. Nur: genau das ist es nicht.
Die Autorin schreibt zwar, sie könne die Aussage
„… auf der theologischen und intellektuellen Ebene natürlich nicht abschließend beurteilen. Dazu bin ich weder befugt noch befähigt.“. Sie schreibt, sie könne eigentlich nur schweigen, und stellt ihre eigenen Ideen als Traum hin (um damit im Nebensatz Martin Luther King für sich in Anspruch zu nehmen). Doch sie schreibt als Schluss:
„Als Kommunikationswissenschaftlerin garantiere ich Ihnen damit neben der notwendigen Richtigstellung die volle mediale Aufmerksamkeit, viele nachdenkliche Gesichter und vielleicht auch die eine oder andere Bekehrung“.
Darin sind drei klare Aussagen enthalten: einmal „Ich weiß es sachlich besser und Sie täten gut daran, Ihre Aussage richtig zu stellen“, dann „Ich verstehe von Kommunikation mehr als Sie“ und zudem „Ihre Theologie reißt niemanden vom Hocker, aber meine könnte Menschen bekehren“. Das zu denken und zu sagen ist jedermanns gutes Recht. Aber dann soll man es bitte auch aussprechen. Was mich massiv stört, ist der Stil, zu versuchen, die Ohrfeige als untertänige Streicheleinheit zu verkaufen. Wie eine Freundin schrieb: „Beleidigungen schreibe ich nicht zwischen „Eminenz“ und „Ihre ergebenste“.
Die Schreiberin unterscheidet sehr zwischen männlicher und weiblicher Denkweise.
„Mut gemacht hat mir neben meinem wachsenden Wissen als Kommunikationswissenschaftlerin auch das Bewusstsein meiner Weiblichkeit: ich glaube, Männer können gut (zu-) ordnen und systematisieren, aber Frauen erspüren mehr“ und
„Sie haben diesen markigen Satz recht männlich-selbstbewusst ausgesprochen, der sich entsprechend medial verbreitet hat".
Abgesehen davon, dass Kardinal Marx diesen Satz („Wir sind keine Filiale von Rom“) wohl auch mit größter Anstrengung nur ziemlich unvollkommen weiblich-intuitiv hätte aussprechen können, steht der Brief dazu in krassem Widerspruch. Die Schreiberin hat zwar, ganz weiblich, dabei
„als Frau trotzdem ein ungutes Gefühl“, doch was folgt, ist eine knallharte kommunikationswissenschaftliche Analyse, Systematisierung und Zuordnung des Steins des Anstoßes. Bis hin zur Gefahr durch Diktatoren und das, wie ich finde, ohne allzu viel Feingefühl. Sachlich teils interessant, doch mehr als deutlich haut sie dem Kardinal eine Zusammenstellung von Kirchenvätern, Synodenvorbereitungen, Aussagen, Psychologie und Wissenschaft um die Ohren, dass es eine Freude ist, wenn man an so etwas Freude hat. Es kann nur ein Ergebnis dabei heraus kommen. Wieder wird ein Anspruch auf Einfachheit und Schlichtheit erhoben, der in keiner Weise umgesetzt wird.
Am Schluss des langen Briefes endlich steht das, was die Schreiberin für die Lösung hält: ihr „dream“, eine Rede des Kardinals, die sie sich wünscht. Die Deutschsprachige Kirche sei
„dekadent, lau und feige geworden“.
„Die Theologen brauen ungehorsam ihr eigenes selbstgefälliges Süppchen“.
„Bischöfe fürchten mehr die Medien als Gott“.
„den Laien geht es mehr um eitle Ämter und angesehene Positionen und als um den Dienst und das Gebet“. Eine schlimme Verallgemeinerung, wie ich finde. Damit bin ich gemeint. Damit ist jeder Katholik hier gemeint. Damit sind alle gemeint, die in diesem Land mit seinen Verführungen und Versuchungen leben und darin um ihren Glauben ringen. Damit sind alle gemeint, die den Wunsch Roms (ohne dass es laut Schreiberin nicht geht!) nach Evangelisierung ernst nehmen und versuchen, auf die Menschen zu zugehen. Die unter Seelsorge und Mission mehr verstehen, als dem geknickten Halm klar zu machen, er sei eine ungläubige Flasche, die gerade im Zeitgeist versinkt.
Zum Schluss versuche ich es jetzt selbst einmal „weiblich“, wie die Autorin es offenbar versteht, und schreibe einfach meine intuitiven Gefühle dazu auf.
Auch wenn er sicher nicht so gemeint ist: der „dream“ ist für mich eine Unverschämtheit, die ihresgleichen sucht. (Entschuldigung für die harten Worte.) Diese Art der vorgegebenen Schlichtheit und Rechtgläubigkeit, hinter der sich ein gewaltiges Recht-Haben zu verbergen sucht, empfinde ich wie eine Klammer, die sich um das Herz legt. Wie eine Wand, die ich angeblich überwinden muss, um glauben zu können. Rechtgläubigkeit erscheint mir hier so moralinsauer, dass sie beinahe ungenießbar wird. Und sie erhebt einen Anspruch, der ihr nicht zusteht: Christus rettet, nicht dir Richtigkeit. Für mich kommt erst die Freundschaft mit Gott, dann deren Ausgestaltung. Theologie in allen Ehren, so sehr sie mich interessiert und so wichtig sie ist.