Die Verfügung, mit der der Papst vor einigen Jahren die ältere Form der katholischen Messfeier für breitere Kreise zuließ, sei ein „Akt universeller Gesetzgebung“ und daher „für die gesamte Kirche weltweit verbindlich“, betont der aus den USA stammende Kurienerzbischof. Es gehe also nicht um einen „Gunsterweis gegenüber irgendwelchen Personen oder Gruppen, sondern eine Gesetzgebung zum Zweck der Wahrung und Beförderung des Lebens des ganzen mystischen Leibes Christi und der höchsten Ausdrucksform dieses Lebens, nämlich der heiligen Liturgie“.
In unserer gemeindlichen Situation müssen solche Sätze wie weit übers Kirchenvolk hin gesprochen erscheinen. Vielleicht hätte ich den Sinn dieser Worte nicht verstanden, wenn ich nicht selber die Erfahrung gemacht hätte, daß das »Ja« zur liturgischen Tradition der Kirche (inklusive ihrer Liturgiereformen) den Blick auf die Katholizität der Kirche richtet. Die traditionelle Messe gehört nicht an den Rand der Kirche; und ihre Freunde sind keine Randständigen; Gruppen, denen man ein Zugeständnis machen mußte.
Bevor ich erste »Erfahrungen« mit der Außerordentlichen Form machen konnte, habe ich eine starke Trennung zwischen vorkonziliarem und nachkonziliarem Kirchenbild in meinem Umfeld, besonders meinem theologischen Umfeld wahrgenommen. Auf liturgischem Gebiet war man schon weiter als die Reform, sprach von tridentinischem und vatikanischem Feierraum und konzipierte dialogische Spannungspole im liturgischen Feierraum. Tradierte Kirchenräume wurden teilweise mit Schlagworten (»Omnibus-Anordnung«) abgetan.
Gleichzeitig habe ich den teilweise unerleuchteten Eifer traditionalistischer Gruppen kennengelernt: Die alte Messe lag mir also relativ fern.
Ich habe selber festgestellt, daß mir das Motu Proprio erst einen Weg zur Außerordentlichen Form bahnte, denn der Papst war – zumindest in meinen Augen – im Begriff, die sogenannte »Tridnetinische Messe« aus der Schmuddelecke »Indultmesse« in die universale Berechtigung der Kirche zurückzuholen.
Es mag Zufall sein, daß mir gleichzeitig jene dritte liturgische Form des »Unordentlichen Ritus« sauer aufstieß. Aus verschiedenen Rücksichtnahmen heraus bin ich sogar einmal in einer Messe zur Kommunion (war es wirklich Kommunion?) gegangen, in der die Gemeindereferentin Teile des Hochgebetes übernommen hat. Das war für mich ein innerer Schock. War es wirklich noch Jesus, den ich da empfing? In einem Kirchenraum, der die existenzielle Wucht und Dramatik eines schwedischen Einrichtungskataloges besaß? Ohne zu dramatisieren, glaube ich, daß die Ideologie des Liturgie-Machens weit in den Raum der Kirche vorgedrungen ist.
Ich will nicht gegen eine legitime Form der Liturgie polemisieren, es sei denn eben gegen die Unordentliche Form. Ich weiß auch nicht, ob die liturgiefeindlichen Elemente (Liturgie als moralische oder pädagogische Veranstaltung; Eventcharakter der Liturgie) wegen oder mit der Liturgiereform eingezogen sind. Auf liturgische Anweisungen oder die Liturgiereform selber können sie sich jedenfalls nicht berufen. (Meiner Überzeugung nach haben die unterschiedlichen Formen der Liturgie unterschiedliche Gefährdungen.)
Ich stand vor der Alten Liturgie wie ein Kind, das an Heiligabend die Tür zum Gabenzimmer aufstößt. (Soweit die Analogie: Ich würde nicht soweit gehen, den Papst als Weinhnachtsmann zu bezeichnen …) :-)
Ich hatte etwas gefunden, das ich, ohne es zu kennen, vermißt habe: Eine weitgehende Einheit von Wort und Klang, Raum, Bewegung und Geste. Das bürgerliche: »Ihnen einen schönen Sonntag« – »Danke gleichfalls!« wurde mir angesichts des Gefeierten immer unerträglicher. – Ja, ich weiß: Das »Danke gleichfalls, Halleluja, Halleluja« der Osterzeit taucht nirgends in den Rubriken von 1970 auf.
Ich habe jetzt die Möglichkeit, die alten Opferungsgebete anzuschauen, Orationen zu vergleichen – mich andererseits über die Evangelienprozession zu freuen und festzustellen, wieviel mir doch an der neuen Leseordnung liegt; und das Wichtigste: Ich kann dies tun, ohne daß es mich innerlich ideologisch zerreißt. Das Motu Proprio hat mir doch ziemlich die Augen für die innere Einheit der Römischen Liturgie geöffnet. Dabei liegt es mir fern, Grenzen zu verwischen. Offene Fragen zwischen den beiden Usus (Wer oder was wird wann geopfert?) kann ich gerne stehenlassen – gerade wegen der Katholizität beider Formen.
Vielleicht bin ich in einigen Augen ja ein typischer Postmoderner, oder ein Mosebach-Katholik. Ich glaube heute nichts anderes über die Eucharistie als ich vor zwanzig Jahren geglaubt habe – und das ist der Glaube der Kirche –; aber die Alte Form der messe ist für mich eine Schule des Gebets geworden. In der Mitte der Kirche, wie auch ich in der Mitte der Kirche stehe.
Und wie auch die Menschen in der Mitte der Kirche stehen, die ich so oft beim sonntäglichen Choralamt treffe.