Nach langer Zeit wieder mal ein Blogeintrag: eine Umfrage von Publik Forum auf Facebook hat mich nachdenklich gemacht. Es geht um den freien Willen.
Man konnte mit Ja oder Nein antworten, oder eine eigene Antwort geben.
Hier die Fragen und meine Antworten.
1) Kann der Mensch aus einem freien Willen heraus handeln?
Um klar zu haben, wovon hier die Rede ist, einige Überlegungen, um die Frage so scharf zu bekommen, dass sie überhaupt beantwortbar ist.
Wenn ich etwas frei tue, meine ich damit, es ohne jeden zwingenden Einfluss zu tun. Das ist eine harte Aussage, denn: alles, was ein Mensch tut, und sei es auch nur ein Gedanke, manifestiert sich physikalisch und/oder chemisch, in Spannungen, Strömen und Eiweißmolekülen. Kein Traum, der nicht in den Hirnströmen messbar wäre, und kein Hirnstrom, der nicht durch Membranänderungen der Zellen verursacht wäre. Wenn ich wirkliche und nicht nur erlebte Freiheit behaupte, dann behaupte ich daher, dass etwas in der Lage ist, diese Membranänderungen zu verursachen, das selbst NICHT davon verursacht wurde. Anderenfalls wäre der Entscheidungsträger gesteuert gewesen. Im Klartext: Freiheit bedeutet die Macht des Geistes (was immer das ist) über die Materie, und sei die Ebene auch atomar oder noch kleiner, eine Macht, die in der Lage ist, Prozesse in Gang zu setzen, die naturwissenschaftlich messbare Ergebnisse bewirken. Ohne diese Macht gibt es keine Freiheit, sondern nur eine Leinwand des Bewusstseins, auf der die chemisch-physikalischen Prozesse im Hirn erlebt werden, Prozesse, die sich im Letzten selbst steuern, wie alle natürlichen Vorgänge. Die Frage nach der Freiheit wäre letztlich eine Frage nach der Feinheit der Auflösung, in der ich zu Beobachten in der Lage bin. Könnte ich alles sehen, wäre es um die Freiheit geschehen. Meine Aussage ist: genau von dieser Macht des Geistes über die Materie gehe ich aus. Die Gründe zu erörtern führt hier zu weit. Tatsache ist, dass ich es tue.
Anhand eines Beispiels möchte ich aufzeigen, dass diese Überzeugung durchaus in der Lage ist, Einwänden zu begegnen. Genannt seien hier die Versuche mit Elektroden im Hirn, die durch Strom in der Lage sind, Bewegungen zu verursachen, die ich anderenfalls freiwillig mache, wie das Heben einer Hand. Der Strom ist hier die Ursache, die den Prozess in Gang setzt, der zur Muskelkontraktion führt. In anderen Versuchen ist es möglich, Gemütszustände zu erzeugen; auch medikamentös kann man Einfluss nehmen. Es ist erwiesen, dass chemische und physikalische Einflüsse den erlebten Bereich prägen können und sogar zur Ursache bestimmbarer Handlungen werden. Alles, was der Mensch frei tun kann, lässt sich künstlich herbeiführen. Eine Frage der Zeit, bis das noch viel detaillierter, präziser und damit auch persönlicher möglich ist. Diese Tatsachen zweifele ich in keiner Weise an.
Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Was Ursache und was Wirkung ist, scheint klar sein. Der Raum für echte Freiheit wird eng; wenn man den Gedanken bis zum Ende denkt, ist er fort.
Das ist folgerichtig. Allerdings nur, wenn man davon ausgeht, dass wir von einem einzigen System reden. Diese Grundannahme wird unausgesprochen hinzugefügt, sobald solche Versuche interpretiert werden: Physik und Geist sind letztlich eines. Lässt man das beiseite, ergibt sich das Bild von zwei Bereichen, die sich durchdringen, gekoppelt sind oder auf andere Weise voneinander abhängen, und zwar so, dass alles, was dem einen begegnet, am Kopplungspunkt auch dem anderen widerfährt, doch die Hierarchie ist fort. Ein Bild, um es zu erklären: wenn ich einem bekleideten Menschen am Schuh ziehe, bewegt sich der Fuß. Mache ich es geschickt, kann ich ihn laufen lassen. Wäre dies mein einziges Wissen über Menschen, wäre für mich klar, dass der Schuh die Ursache der Bewegungen ist. Ein Irrtum, selbst dann, wenn meine Instrumente prinzipiell nicht in der Lage wären, Muskelgewebe, Haut und Knochen wahrzunehmen.
Nein, der Fuß wird gehoben, wenn ich am Schuh mit der nötigen Kraft einwirke, und er hebt sich ebenso, wenn das Bein zu arbeiten beginnt.
Unter der Prämisse, dass es den Geist als eigenes, handlungsfähiges System gibt, beweisen die Elektrodenversuche und Psychopharmaka nur, dass dieses System hier und jetzt mit der Materie des Körpers intensiv verbunden ist. Mehr nicht; über die Eigenständigkeit des Geistes und über seine Möglichkeiten, auch ohne diese Bindung zu existieren, sagen sie nichts aus.
Meine weiteren Antworten sind im Licht dieser Antwort zu lesen.
2) Ist der Mensch durch genetische Anlagen, Familie und Gesellschaft weitgehend geprägt?
Ja, der Mensch ist geprägt. Wie weit das geht, weiß niemand. Eine Prägung ist jedoch meist kein Zwang und lässt eine zwar schwerere, aber mögliche Wahl. Zudem kann man auch frei wählen, was die Prägung nahelegt, wie Liebe zu den eigenen Eltern. Ist die Prägung tatsächlich ein Zwang, ist die Frage sinnlos. Ich frage auch nicht, ob jemand dafür verantwortlich ist, nach unten und nicht nach oben zu fallen.
3) Kann der Mensch überhaupt für sein Handeln verantwortlich gemacht werden?
Was ist damit gemeint?
Verantwortlich im Sinne von es verschuldet habend? Die Frage würde sich von selbst erledigen. Man könnte natürlich endlos philosophieren, ob man auch für Dinge schuldnerisch verantwortlich sein kann, die man selbst nicht getan hat (Beispiele: geerbte Schulden, Mitgliedschaft in einer schuldig gewordenen Gruppe, im Christentum: die Erbsünde). Doch wird die Frage grundsätzlich gestellt, so dass eine allgemeine Aussage die Antwort ist, liegt dem gesunden Verstand nahe: was man frei tat, fällt unter die eigene Verantwortung; was man nicht frei tat, fällt unter die Verantwortung dessen, der es frei verursachte. Gibt es den nicht, gibt es auch niemanden, der schuldnerisch verantwortlich ist. Schuld ohne Freiheit ist Unsinn.
Die andere Art der Verantwortung wäre die, die daraus erwächst, handeln zu können, es aber auch lassen zu können. Diese Art von Verantwortung wird im Christentum sehr hoch gehandelt (Gleichnis vom barmherzigen Samariter, die Schuld, Gutes unterlassen zu haben etc.). Wer die Gelegenheit hat, zu handeln, steht vor einer Wahl. Für das eigenen Wählen ist man verantwortlich. Letztlich fällt auch die Verantwortung für ererbte Schuld oder Mitschuld an den Taten anderer hierunter, da sie eine besondere Situation verursacht, die eine bestimmte Wahl nahelegt. Auch die kann man natürlich nur verantwortlich treffen, wenn man frei ist.
4) Spielt Gott beim freien Willen des Menschen eine Rolle?
Ja, insofern dass er unsere Freiheit erst ermöglicht hat.
Nein, sofern es um den Ausgang der Entscheidung geht. Anderenfalls wäre sie nicht mehr frei.
5) Kann sich der Glaube mit der Naturwissenschaft aussöhnen?
Letztlich geht die Naturwissenschaft aus dem Glauben hervor, da ihr grundsätzlich ein Glaubensakt in Form einer Hypothese zugrunde liegt, und sei es bloß der Eindruck, an irgendetwas müsse doch verdammt noch mal mehr dran sein, als man auf den ersten Blick sieht. Keine Naturwissenschaft ohne den Bereich, der jenseits des Gewussten liegt. Es ist keinerlei Aussöhnung notwendig; die beiden bedingen sich.
Umgekehrt allerdings ist es eher fraglich: ob sich nämlich viele Wissenschaftler damit aussöhnen können, dass es mehr gibt, als sie wissen, und andere Richtungen, als sie vorgeben – das ist wohl zu bezweifeln, auch wenn diese Wissenschaftler den ganzen Tag nichts anderes tun, als sich genau damit zu beschäftigen.
6) Ist es Zeit, neue Gottesbilder zu denken?
Wenn man sich klar ist, dass man versucht, sich etwas Realem, doch zum Begreifen zu Großen zu nähern, kann es überhaupt nicht genug Bilder geben. Gott selbst spricht von sich in Bildern.
Wenn man jedoch das Bild für Gott hält, wenn also damit gemeint ist, dass, was man Gott nennt, dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis unterzuordnen, ist es ein Irrtum. Gott wäre hier die Restsumme des bisher Unerklärten, die notgedrungen immer kleiner oder anders wird, je größer die wissenschaftliche Erkenntnis ist und je nachdem, welche neuen Fragen sie aufwirft. Diese Restsumme ist der Bereich, den die Wissenschaft zu erschließen versucht, doch dieser Bereich ist nicht Gott. Wer ein Fenster putzt, sieht danach mehr Sonnenlicht, doch die Sonne neu zu denken, weil das Fenster sauberer wurde, ist der falsche Ansatz.
Wenn man sich klar ist, dass man versucht, sich etwas Realem, doch zum Begreifen zu Großen zu nähern, kann es überhaupt nicht genug Bilder geben. Gott selbst spricht von sich in Bildern.
Wenn man jedoch das Bild für Gott hält, wenn also damit gemeint ist, dass, was man Gott nennt, dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis unterzuordnen, ist es ein Irrtum. Gott wäre hier die Restsumme des bisher Unerklärten, die notgedrungen immer kleiner oder anders wird, je größer die wissenschaftliche Erkenntnis ist und je nachdem, welche neuen Fragen sie aufwirft. Diese Restsumme ist der Bereich, den die Wissenschaft zu erschließen versucht, doch dieser Bereich ist nicht Gott. Wer ein Fenster putzt, sieht danach mehr Sonnenlicht, doch die Sonne neu zu denken, weil das Fenster sauberer wurde, ist der falsche Ansatz.
Dazu kommt, dass zumindest der christliche Glaube überhaupt nicht gedacht, sondern offenbart wurde. Er kommt vom Hören, nicht vom Denken. Die Idee, die Aussagen Gottes über sich selbst durch eigene Gedanken zu ersetzen, hat ihn durch Eigenes ersetzt, in der Kirche „Götze“ genannt.
Also: sich Gott in immer neuen Gedanken und Bildern zu nähern ist gut und angemessen, ihn durch immer neue Bilder zu ersetzen hieße, ihn bereits verloren zu haben.
7) Muss die Frage nach Gott aufgegeben werden?
Hier konnte man nur noch Ja oder Nein sagen.
Hier konnte man nur noch Ja oder Nein sagen.
Ich denke: Jemand, der das Eigene als die Grenze für alles ansieht, hat die Frage bereits aufgegeben. Wer bereit ist, Gott zumindest als Hypothese stehenzulassen, fragt bereits und sollte mit überraschenden Antworten rechnen.