Wir sind es gewohnt, draufzuhauen. Sensibilisiert, wie wir sind, erkennen wir rasch das Ziel und – patsch! „Aufschrei“ nennt man das oder „im Keim ersticken“. Da auch unsere Gegner regelmäßig aufschreien und dabei durchaus Treffer landen, ziehen wir die Schilde noch höher. Noch schneller müssen wir werden, noch vorausschauender und noch treffsicherer. Die Folge: ein rasantes gegenseitiges Draufhauen in den sozialen Netzen, das kein Mensch mehr überschauen kann und von dem nur noch die Teilnehmenden denken, es habe irgendeine Bedeutung. Gut, die Teilnehmenden und die Politiker, denn die orientieren sich bekanntlich an Volkes Stimmung. Und die ist, was die Kölner Vorfälle angeht, schlecht. Aus teilweise völlig unterschiedlichen Gründen, aber schlecht ist sie auf jeden Fall. Gerne würde sich die Politik so manchen Aufschrei zu Eigen machen; nirgends kann man sich besser an die Spitze der Emotionen setzen, als in der Krise. Geht das daneben, riskiert man allerdings, selbst getroffen zu werden. Frau Reker hat das Ziel offenbar um Armeslänge verfehlt und wird nun selbst nun selbst zum Ziel – patsch!
Natürlich mache ich mich selbst zur Zielscheibe, wenn ich hier sage: Frau Reker hat Recht mit Ihrer Idee. Der Grund für die hoch gehenden Emotionen zum vorgeschlagenen Sicherheitsabstand, so scheint mir, ist die erwähnte Schlagbereitschaft. Da war ein falsches Wort, ein missverständliches – hauen wir drauf. Doch warum?
Da heißt es: man darf die Schuld nicht den Frauen zuschieben. Nur dass es hier noch gar nicht um Schuld geht, sondern um Gefahrenvermeidung. Und in diesem Zusammenhang werden viele Frauen künftig genau darauf achten. Aus einer einfachen Erkenntnis heraus: Natürlich haben nicht sie den Fehler gemacht haben, sondern die Täter, doch solange die sind, wie sie sind, und das auch noch in Freiheit, ist es sicher besser, aufzupassen. Mir ist jedenfalls keine Frau bekannt, die sich in den nächsten Tagen leicht bekleidet in ein muslimisches Männergewühl stürzen will, mit dem Hinweis auf den Lippen: „Nicht ich liege falsch, sondern Ihr!“. Zwischen einer Vorsichtsmaßnahme und einem Schuldeingeständnis liegen Welten. Es ist schlicht unsinnig, wenn Selbstverständlichkeiten nicht ausgesprochen werden dürfen, weil man sie uminterpretieren könnte.
Auch wird kritisiert, der Vorschlag sei schlicht unsinnig. Er sei unpraktikabel und wirke nur bei Männern, die ohnehin nichts wollen. Nicht unlogisch - schließlich ist für die anderen ein Frauenarm nichts, was sie abhält, eher im Gegenteil. Zudem fehlt in der Einkaufsschlange, der U-Bahn oder auf einer vollen Straße einfach der Platz dazu, irgendeinen Sicherheitsradius zu definieren und zu verteidigen. Das stimmt alles. Selbstverständlich ist der Vorschlag keine eierlegende Wollmilchsau. Die Idee verhindert ebenso wenig Übergriffe wie ein Rauchmelder Brände. Doch beide schaffen das, was am besten weiter hilft: Gefahrenbewusstsein. Und das muss eine Frau derzeit leider haben, da gibt es nichts zu deuteln. Bis diese Gefahr weitestgehend ausgeräumt ist, muss frau leider auf genau das achten, was Frau Reker anregt: zur Sicherheit einen gewissen Abstand, und, wo der nicht möglich ist, erhöhte Wachsamkeit.
Es ist ein schmerzliches Thema! Gerade deshalb ist es für politische Diskussionen ungeeignet. Die Feinfühligkeit, die hier gebraucht wird, scheint mir doch sehr in eine gewisse Hysterie umzuschlagen: wir Sensiblen bekommen offenbar alles, was sperrig ist, sofort kollektiv in den falschen Hals und husten uns dann öffentlich und publikumswirksam aus. Dass wir uns zugleich Politiker wünschen, die den Mut haben, nicht ständig nur Aalglattes von sich zu geben versteht sich. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur einer einzigen Sache erlauben, sperrig zu sein: dem eigenen Brett vor dem Kopf.
Hallo Bastian,
AntwortenLöschenbitte noch mal die Meldungen über die Ereignisse lesen und ggf. Videos ansehen.
Ich glaube dieser Kommentar ist entsetzlich misslungen.
Viele Grüße
Andreas
Das es sich um eine verunglückte, im Grunde aber richtige Äußerung der Frau Reker handelt, die unter zeitlichem Druck und unüberdacht geäußert wurde ist eine Legende.
AntwortenLöschenEs handelte sich um eine Pressekonferenz nach einer Krisensitzung mit Vorstellung eines Aktionsplanes handelte. Sie kündigte Verhaltensregeln an und wurde nach Beispielen gefragt.
Da kam nichts aus dem Moment. Das ist genau das gewesen, was sie stundenlang besprochen haben, das Ergebnis der Beratung mit in den Augen der Bürgermeisterin zu Rate zu ziehenden Personen.
Bitte, bitte die Konferenz ansehen und mit dem Informationsstand am 5. vergleichen.
So behauptet sie, entgegen Ihrer Feststellung, dass Ausweichen mitunter eben nicht möglich ist genau das. "Naja, es gibt immer eine Möglichkeit eine gewisse Distanz zu halten." Das ist kein Ausrutscher. Wer wenn nicht diese Frau weiß, dass dies Unsinn ist?
Die Vorschläge erschöpfen sich auch nicht auf die Armeslänge und Distanz. Dazu kommen "nur in der Gruppe bewegen", "nicht mit Fremden gehen", "nicht drängen lassen". Nur ein einziger Bezug der nicht eine Veränderung der Verhaltensweise der Opfer verlangt kommt. Es wird eine Broschüre geben für "fremde Karnevalisten", damit es keine "Missverständnisse" mehr gibt.
Das ist kein "ein Satz rutscht mir raus" über einen besonders eifrigen und brutalen Taschendieb auf der Domplatte. Das ist eine Pressekonferenz über etwas, dass nur sehr knapp unter einer der öffentlichen und riesigen Massenvergewaltigung blieb. Nicht am Tahrir sondern hier.
Hier braucht es eben gerade keine Feinfühligkeit in der Behandlung des Themas, hier braucht es Feinfühligkeit im Umgang mit dem Opfern. Die "Populisten", die vielgefürchteten Barbaren innerhalb der römischen Mauern, fordern nunmehr eine verschärfte DISKUSSION und deftigere Maßnahmen als "wir schaffen das" und "die Zahl der Abschiebungen wird möglicherweise erhöht" - wo faktisch nicht abgeschoben wird. Oha. Aber schon das ist zu viel.
Vielleicht haben Sie auch einfach nicht bemerkt, dass satte vier Tage und starker sozialer Druck aufgrund der unglaublich hohen Zahl an Opfern entstand, bevor die Medien berichteten, dass die Polizei trotz eingehender Anzeigen von einem "friedlichen Silvester" berichtete und somit den Vorgang unterschlug. Dass die Politiker erst nach den Medienberichten aktiv wurden (auch die Bürgermeisterin).
Wenn hier also niemand "aufgeschrien" hätte (angesichts des Schweigens der Feministinnen im Kontrast zu ihrem #Aufschrei vor zwei Jahren bei einem blöden Kommentar), dann wäre die Sache wohl klanglos vergessen worden.
So gesehen finde ich, dass der Satz mit den Brettern vor allem auf die Fakten in diesem Fall bezogen werden kann - wenn wieder jemand "Ruhe bewahren, alles halb so wild" von sich gibt.