Sonntag, Oktober 30, 2016

Zensur?

Eine Unart der Auseinandersetzung, von deren Beispielen die Kommentarspalten katholischer Posts oft voll sind:

  • Diese Aussage könnte auch von Lafontaine sein!
  • Das sind linksgrüne Forderungen!
  • Wie kann man den zitieren? Der ist doch bekannt für seine antikirchlichen Positionen!
  • Etc…

Darf ich als Katholik Dinge nicht sagen, weil die Falschen sie schon sagten? Können mir folglich diese Personen faktisch vorschreiben, was ich sagen oder denken darf?

Es ist kaum möglich, ein umweltpolitisches Problem anzuschneiden, ohne Kommentare dieser Art zu hören oder lesen. Auch bei sozialen Fragen ist es ähnlich: es gibt Unpersonen, und deren Themen sind Unthemen. Ein Unding!
Viele genau der Christen, die bei Fragen der Sexualität (mit Recht!) sofort zwischen Sünder und Sünde zu differenzieren wissen, sind in anderen Fällen nicht einmal in der Lage, Problem und Lösung zu unterscheiden. Sie reagieren ganz so als würde ich, sehe ich ein Problem, automatisch eine falsche Lösung dafür unterstützen, nur weil sie bereits gesagt wurde.
Also als meine Kinder klein waren, habe ich jedem zugehört, der feststellte, sie hätten die Windeln voll, völlig wurscht ob der Entdecker nun dafür war, Pampers zu nehmen oder Ökowindeln. Mich hat die Info interessiert, nicht dessen Weltanschauung. Mir kommt es vor, als seine viele Schreiber in Blogs und auf facebook der Meinung, man dürfe Kinder nur wickeln, wenn, mit Verlaub, die Scheiße von einem moralisch unbedenklichen Menschen entdeckt und benannt wird. Und so bleibt viel Scheiße liegen und stinkt zum Himmel, weil es für Christen (Bürger, Konservative etc…) nicht opportun ist, sie zu sehen, da Lafontaine bereits reingetreten ist. Heraus kommen Diskussionen, bei denen man sich die Haare raufen will.
Glatzköpfige Intellektuelle tun mir leid!

Donnerstag, Oktober 20, 2016

Gelungen und gesegnet

Wenn sich das Bistum zur Wallfahrt nach Rom aufmacht, sollte man mehr als eine Gruppenreise in frommer, netter Gemeinschaft erwarten, denn man bekommt mehr: ein kleiner Bericht über eine beeindruckende Reise.


Am Montag, dem 10.10., ging es los. Zur Wallfahrt passte die Herrgottsfrühe, in der wir aufstehen mussten, um rechtzeitig am Flughafen zu sein. In guter Stimmung flogen wir nach Rom, fuhren dort in unsere Unterkunft „Casa Mater Mundi“, bezogen unsere Zimmer, die schon fertig auf uns warteten, bekamen ein paar Informationen und hatten erst einmal bis zum Abend frei. Mancher blieb im Gästehaus, das von Schwestern betrieben wurde und einfach, aber sehr nett und gut geführt war. Andere nutzten den Tag in der Stadt, bis wir uns am Abend gegen 20:00h alle auf dem Platz St. Maria in Trastevere trafen. Die Anfahrt erfolgte in Eigenregie, was im Wesentlichen bedeutete, zu warten: der ÖPNV Roms trug sicherlich einen wesentlichen Teil dazu bei, dass man merkte, in einem anderen Land zu sein, bei längerer Wartezeit in einer anderen Kultur und sich am Ende gar in einer anderen Welt wähnte. Dieses Grauen hat einen Namen, oder besser, eine Nummer: 870, der Bus, auf den wir mindestens 15min, höchstens aber 70min warteten. Eine Tatsache, die über die ganze Woche hinweg Gesprächsstoff lieferte, doch letztlich nichts verdarb: am Ende funktionierte immer alles.
In Trastevere nahmen wir dann teil am Abendgebet der Gemeinschaft Sant´Egidio und wurden von unserem Kardinal begrüßt. Diese Gemeinschaft engagiert sich sozial als gelebte Nachfolge Jesu. Ihre Grundlagen sind Gebet, Solidarität, Ökumene und Dialog – ein Einblick, der nachdenklich machte. Nach dem Abendgebet gab es „Brot und Wein“, ein gemeinsames Abendbrot mit interessanten Gesprächen. Reisebusse brachten uns nach Hause – eine Erleichterung.


Am nächsten Morgen, Dienstag 11.10., geht es früh weiter: 9:00h Treffen vor der Engelsburg. Anfahrt wieder in Eigenregie, also Aufbruch noch deutlich vor 8:00h. Viele sind müde. Von der Engelsburg geht es gemeinsam in einer Prozession zum Petersplatz und durch die dortigen Kontrollen. Es ist traurig zu erleben, wie die Kirche ihr Zentrum, das offen für alle sein soll, schützen muss. Doch nach der Kontrolle geht es in den Dom, durch die Heilige Pforte, die das Eintreten in die barmherzige Gegenwart Gottes versinnbildlicht. Viele bekreuzigen sich, berühren kurz die Türflügel. Es ist bewegend und still, der Schritt verlangsamt sich. Die Andacht ist greifbar und dicht, fast als könne man die gewährten Gnaden mit den Sinnen wahrnehmen. Auch das „Avanti, avanti!“ der Türsteher änderte daran nichts: es ist der Eintritt ins Herz der Kirche. Ein großes Herz im wahrsten Sinne: als sich die weit über 1000 Pilger am Altar der Kathedra versammelt haben, ist vom Dom nur ein kleiner Teil besetzt. Der Publikumsbetrieb geht weit hinter uns seinen gewohnten Gang, während wir mit unserem Kardinal die Heilige Messe feiern.
Der Nachmittag kann zum Besuch „besonderer Orte“ genutzt werden. Engelsburg, Katakomben, Petrusgrab, Radio Vatikan und vieles mehr steht zur Auswahl, wenn es gebucht wurde: viele Führungen erfolgen in kleinen Gruppen. Meine Familie und ich besuchen in Eigenregie das Pantheon und trinken am Platz davor einen Kaffee, der im Vergleich zur Heimat mindestens um so viel besser ist wie der ÖPNV schlechter.
Es beginnt zu regnen. Ich weiß nicht, was Petrus wollte, aber er wollte es nachdrücklich: in kurzer Zeit sind wir so nass, dass nur noch ein Taxi nach Hause uns helfen kann. Alles klebt klitschnass am Körper, auch wenn der Himmel inzwischen wieder großenteils blau ist. So verpassen wir und etliche andere die Lichterprozession durch die vatikanischen Gärten, die verspätet und verkürzt am Ende doch noch stattfand. Sehr schade.


Am Mittwoch, 12.10., ist Papstaudienz. Um 8:00h sollen wir am Petersplatz sein – mit Ausschlafen wird das nichts in Rom. Sogar an diesem Tag gibt es ein Morgengebet. Inzwischen ist auch bei mir angekommen, dass man die Linie 870 vermeiden kann, wenn man etwas weiter bis hinunter zum Supermarkt geht – dort fahren gleich zwei Linien, und beide häufiger. Auf dem Petersplatz kommen wir in den bestuhlten Bereich vorn in der Mitte. Wirklich viele Stühle stehen da. Ein kurzer Überschlag – Stühle pro Reihe mal Anzahl der Reihen mal Blöcke – ergibt rund 20.000 Stühle. Und sie bedecken doch nur einen Teil der vorderen Hälfte des Platzes.
Ein Sprecher begrüßt die anwesenden Gruppen – allein die Aufzählung und der kurze Jubel der genannten Gruppen dauern eine viertel Stunde. Als der Papst kommt und die Reihen abfährt, stehen plötzlich viele auf den Stühlen. Man sieht fast nichts mehr, aber das ist auch nicht nötig, denn das Papamobil ist hoch, und oft scheint Papst Fanciscus über den Reihen zu schweben. Er strahlt, winkt und segnet. Ein paar Kinder nimmt er ein Stück mit im Papamobil. Es ist heiter, wie überhaupt die Stimmung Roms in seinen großen Kirchen heiter ist. Die Predigt ist ein Aufruf, die Nachfolge Christi im Leben umzusetzen. Sie behandelt besonders die sieben leiblichen und die sieben geistlichen Werke der Barmherzigkeit. Genaueres hier: LINK
Die päpstliche Ansprache ist auf Italienisch, doch danach wird sie in vielen Sprachen zusammengefasst, von Sprechern, die bei dieser Gelegenheit den Papst grüßen und ihm danken. Dass einer von ihnen den Heiligen Vater versehentlich mit Johannes bezeichnet, lässt viele zusammenzucken – den Papst selbst allerdings nicht. Es ist schön, den Heiligen Vater zu treffen. Ja, wir sind wirklich in Rom, im Herzen der Kirche.
Nach der Audienz ist freie Zeit. Ich besuche das vatikanische Museum und die Sixtina. Die Vorstellung, dass hier das Konklave abgehalten wird und der Heilige Geist wirkt, trifft mich mehr als alle Kunstwerke, obwohl die wirklich gewaltig sind. Hinterher bin ich sehr müde. Keiner meiner Familie schafft es, am Treffen in Sant’Ignazio mit Abendgebet und offenem Singen teilzunehmen.


Donnerstag, 13.10. Nach Morgengebet und Frühstück ist der Vormittag und frühe Nachmittag wieder frei für die „besonderen Orte“. Wir besuchen die Domitilla-Katakomben. Die Anfahrt erfolgt in Eigenregie. Bitte pünktlich, wegen der geplanten Führung. Wir schauen auf den Stadtplan, den wir erhalten haben: dort sind die Katakomben eingezeichnet, zwischen zwei Brücken am Tiberufer. Wir fahren dorthin. Doch vor Ort gibt es nichts, was nach Katakomben aussieht. Wir fragen und erfahren zu unserem Erstaunen, dass sie ca. 7km entfernt liegen. Das Handy sagt: 2h zu Fuß. Wir sind ratlos. Plötzlich taucht ein Mann auf, der neben uns auch andere Ratlose einsammelt, und erklärt: was im Plan eingezeichnet ist, sind nicht die Katakomben, sondern der Abfahrtsplatz dorthin. Die Anreise ist im Viator-Bus, in Eigenregie erfolgte nur die Anreise zur Anreise. Das soll man wissen? Doch wieder: am Ende klappt alles.
Die Gruppe ist nett. Der Ausflug enthält neben den Katakomben vorab noch einen Besuch der Kirche, die dort errichtet wurde, wo Paulus enthauptet wurde, im Kloster Tre Fontane. Drei Quellen sollen dort entsprungen sein, wo das Haupt des Apostels nach seiner Hinrichtung im Jahre 67 den Boden berührte. Die Quellen und die Hinrichtungsstätte sind hinter Glas, aber ganz nah – bewegend!
Dort zu beten ist – irgendwie anders!
Nach Tre Fontane geht es in die Katakomben.


Die Führung hat eine junge Frau, die die Gänge so gut kennt, dass sie anderen Gruppen ausweichen und den Weg improvisieren kann. Bei 17km Gängen auf 4 Ebenen eine wirkliche Leistung! Eine schwer zu beschreibende Faszination geht von diesem Ort aus, der seinerzeit so grauenvoll gerochen haben muss, dass in den Licht spendenden Öllampen stets auch Parfümöl verbrannt wurde. Doch es ist nicht Makabres oder Morbides hier, sondern Stille und Ruhe. Interessant ist es überdies. Die meisten Grabstätten sind offen, da Eindringlinge einst nach Grabbeigaben suchten, bei den Christen jedoch nichts fanden und deshalb das einzige mitnahmen, was Wert hatte: die Ton- und Marmorplatten, mit denen die Grabnischen verschlossen waren. Im feuchtwarmen Klima der Gänge ist von den Gebeinen heute nichts mehr übrig, außer manchmal einem hellen Fleck auf dem porösen Gestein. Mit den Platten, die übrig bleiben, wurde die dazugehörige Kirche eingerichtet und geschmückt.


Am Abend ist Messe mit unserem Kardinal in der Lateranbasilika. Noch eine Heilige Pforte und schon die zweite der ganz großen katholischen Kirchen, an deren Altar wir feiern dürfen.


Am Freitag, 14.10., ist nach Morgengebet und Frühstück wieder Zeit für „besondere Orte“. Wieder nehmen wir die 870 und warten 20min. Unser Pastor schafft es, auf die Sekunde genau zur Abfahrt zu kommen – das muss eine besondere Amtsgnade sein!
Für mich bringt dieser Tag das intensivste Erlebnis der Fahrt – ich bin noch immer damit beschäftigt, es zu verarbeiten: Meine Familie und ich besuchen das Petrusgrab unter dem Dom. Die Führung ist hervorragend. Ein junger Priester, der bestens Bescheid weiß, zeigt uns, was es zu sehen gibt: Fundamente, die über 1000 Jahre alt sind, schon den ersten Dom trugen und teilweise aussehen, als wären sie gestern gemauert. Sarkophage der ausgegrabenen römischen Nekropole, deren Reliefs und Inschriften teils die römischen, teils die ägyptischen Götter anrufen. Dazwischen auch Sarkophage mit christlichen Texten und Motiven. Gott zwischen Göttern – die Situation der frühen Christen. Ca. 10m unter dem Altar des Petersdoms dann das erste Grab des Petrus, über dem man mehrere kleine Monumente errichtet hatte, deren Fundament ein Gewölbe über der Grabstelle hatte: das Märtyrergrab wurde nicht angetastet. In die Wände eingeritzte Fürbittgebete, die den Ort bestätigen. Doch das Grab ist leer, als einziges der vielen dort: als in einer Verfolgungszeit sogar die Gräber geschändet wurden, brachte man - für Forscher ein wichtiges Indiz - genau diese Gebeine in den Sebastianus-Katakomben in Sicherheit. Auch dieser Ort wurde gefunden. Als dann der erste Petersdom gebaut wurde, wurden die noch übrigen Gebeine zurückgeholt und nahe der ersten Grabesstätte in einer Nische in den Kirchenfundamenten erneut beigesetzt. Dort fand man sie bei den Grabungen. Die Knochen wurden inzwischen untersucht: es sind die Überreste eines Mannes, der 60-70 Jahre alt wurde, in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts starb und möglicherweise viel am Wasser arbeitete. Dass wir an dieser Nische standen, die freigelegt wurde, die Gebeine sahen und dort gemeinsam beteten, dafür fehlen mir die Worte.
Ob das alles stimmt? Was ich hier schreibe, ist was ich verstanden und behalten habe. Beweisen kann man es nicht. Doch wie es auch in der Führung gesagt wurde: unser Glaube beruht auf geschichtlichen Ereignissen, nicht auf Sagen. Christus hat auf Erden gelebt, ebenso Petrus und Paulus. Wir dürfen nach diesen Tatsachen suchen und der Wissenschaft trauen, wo sie Aussagen dazu machen kann. Es ist ein starkes Erlebnis, vor diesen Tatsachen wirklich zu stehen!


Am Grab des Petrus darf man nicht fotografieren. Doch diesem Ort auf dem Foto ist es ganz nah: ca. 10m darunter, ca. 10m nach vorn: der Altar des Petersdoms steht darüber.
Der Abend ist der letzte in Rom. Die Abschlussmesse ist in Sankt Paul vor den Mauern. Die Dritte der großen Kirchen in Rom, und wir feiern dort mit unserem Kardinal die Messe. Wieder eine Heilige Pforte. Für mich mit Abstand die eleganteste der großen Kirchen.


Nach der Messe gibt es vor der Kirche gute Nudeln, Getränke und wie immer eine schöne Gemeinschaft. Unsere Bischöfe sind wieder dabei.
Dann werden die einzelnen Unterkünfte per Schild zusammen gerufen. Nach Hause geht es im Viator-Bus – eine große Erleichterung, da es morgen sehr früh losgehen muss. Deshalb trifft man sich an diesem Abend im Gästehaus auch nicht auf ein Glas Wein, wie an früheren Abenden oft: es war eine schöne Gemeinschaft!


Man kann nicht alles erzählen. Von den ganzen Gesprächen, der Stadt, den anderen Kirchen, den Gassen, dem Kaffee und dem italienischen Essen. Jede der Predigten hätte eine ausführliche Zusammenfassung verdient! Es war viel.
Der Rückflug war dann schließlich, wie Rückflüge eben sind: man war eher müde und voll mit Eindrücken. Eindrücke, die noch lange nachwirken werden. Dafür ein herzlicher Dank an alle Organisatoren und Reiseführer, besonders aber an unseren Kardinal Woelki, unsere Bischöfe und an unseren Pastor für Messen, Gebete und Segen. Es war für mich eine rundum gelungene Fahrt.

Dienstag, Oktober 18, 2016

Die Pilotenfrage

Vor etlichen Jahren war ich in der Ausbildung zum Fluglotsen. Ich habe sie damals nicht beendet, sondern mich umentschieden. Doch ich bin weit genug eingestiegen, um mitreden zu können.
Das Thema „Konfliction“ war damals immer präsent – der Fall, dass zwei Flieger den Mindestabstand unterschreiten. Im Grunde erst einmal harmlos, die Mindestabstände sind so groß, dass sie einiges an Sicherheit bieten. Aber: jedes der kleinen Targets auf dem Radarschirm stand für 100 oder mehr Menschen. Der Alptraum war, etwas zu übersehen und so eine Kollision zu verursachen, eine Belastung, der man bereits in der Ausbildung durch psychologische Pflichtveranstaltungen zu begegnen versuchte.
Doch nicht der Unfall war unser Hauptthema, sondern die ständig drohende Rechtsunsicherheit. „Wenn etwas schief geht, setzen sich Experten monatelang zusammen und finden in endlosen Debatten heraus, was Sie in wenigen Sekunden unter Stress entscheiden und wissen mussten.“
Das war unsere Situation auf den Punkt gebracht. Und davor hatte jeder Angst, denn jeder wusste, dass seine Kapazitäten begrenzt waren und einer solchen Untersuchung niemals standhalten würden.

Das Problem, das in dem gestrigen Film völlig ausgeblendet wurde, war dies: kann ich ein unvollkommenes Werkzeug nach seinem Versagen überhaupt an perfekten Maßstäben messen und beurteilen? Oder, um den Menschen nicht zum Objekt zu machen: darf ich Personen, die naturgemäß Grenzen haben, in Situationen schicken, in denen diese Grenzen sichtbar werden, um sie danach an Gesetzen zu messen, die diese Grenzen gar nicht berücksichtigen?
Es ging um die Frage, ob sich die Passagiere in Gefahr bringen, wenn sie ein Flugzeug besteigen. Besser wäre es um die Frage gegangen, ob sich der Staat in Gefahr begibt, wenn er Menschen in derartige Extremsituationen bringt. Er tut es, und er tut es offenen Auges, denn er besteht aus Menschen. Wenn sich aber ein Mensch bereit erklärt, sich solchen Situationen auszusetzen, braucht er dazu den Rückhalt des Staates, auch wenn eine Katastrophe geschieht. Die Würde des Menschen wurde ausdiskutiert auf dem Rücken eines Menschen, dem man sein Menschsein absprach, indem man Perfektion von ihm forderte. Wo waren der Mediziner und der Psychologe, die erklärten, wie in einer solchen Situation der Stress wirkt? Die ganze Diskussion war aufgesetzt und in sich falsch.

Montag, Oktober 17, 2016

Krisen dauern!

Krisen dauern!
Vor mehr als einem Jahr schrieb ich den folgenden Beitrag, über den ich gerade wieder stolperte und der nach wie vor das, was ich denke, ziemlich präzise zusammenfasst.


In der letzten Zeit wurde mir das Schreiben immer zäher und schwerer. Ich habe mich lange gefragt, warum, aber fand nur, dass es mir sinnlos vorkam. Irgendwann fiel dann der Groschen. Es sind im Wesentlichen zwei Gründe.

Einmal: es läuft eine Diskussion, in der ich mich keiner Seite zuordnen kann. Da wird behauptet, die Kirche sei eine Wertegemeinschaft – folglich sei alles, wo man diese Werte vorfindet, in die Kirche zu integrieren. Treue und verantwortungsvolle Nicht-Ehen zum Beispiel. Nur ist die Kirche keine Wertegemeinschaft.
Dagegengehalten wird mit der katholischen Lehre, die nicht verändert werden darf. Logisch, wenn sie von Gott kommt. Nur ist die Kirche auch keine Lehrgemeinschaft.
Was hier meiner Meinung nach falsch läuft, ist die Frage, was Grundlage und was Frucht ist. Die Kirche hat eine Lehre, die Werte hervorbringt, sicher. Die Werte sind wichtig und die Lehre ist wahr, sicher. Doch was die Kirche eigentlich ist: der Leib Christi auf Erden. Christus ist das Haupt, nicht der Katechismus. Er kommt immer zuerst!
Das mag wie eine unsinnige Differenzierung klingen, ist doch im Katechismus zusammengefasst, was Christus für uns und von uns will. Das Problem ist jedoch: wenn ich Christus nicht kenne, bringt mir die Lehre wenig bis nichts. Sie ist dann so gehaltvoll, wie die Anleitung zu einer gelingenden Ehe, ohne dass ich verheiratet bin oder auch nur Aussicht auf eine Freundin hätte. Richtig zwar, aber reine Theorie und nicht umsetzbar. Nicht, weil der Wille fehlt, sondern weil es gar nicht gehen kann. Am Anfang steht die Liebe, die Begegnung mit Christus. Auf dieser Basis ergibt alles Sinn. Ohne diese Basis degradiert man die katholische Lehre zu einer Weltanschauung unter vielen, und zudem zu einer, deren Implikationen sich nicht umsetzen lassen.
Die Diskussion Lehre gegen Werte ist zum Scheitern verurteilt. Mehr noch: sie schadet, weil sie den Blick in eine falsche Richtung lenkt, so richtig inhaltlich vieles sein mag. Ich will aber nicht Recht haben, sondern helfen, das Problem zu lösen.

Der Zweite Grund ist der: wir sind in Gefahr, uns das Heft aus der Hand nehmen zu lassen und nicht mehr zu handeln, sondern zu reagieren. Viele heiße Diskussionen drehen sich darum, wie man verhindert, dass Dinge Gesetz werden, sie längst präsent sind. Sicher, das ist wichtig, um den Schaden nicht noch größer werden zu lassen, doch es ist zum einen ein ziemlich aussichtsloser Kampf und zum anderen die Reaktion auf Themen, die uns aufgezwungen werden. Das Beste, was wir beim Verhindern erreichen können, ist die Erhaltung des Status Quo. Es ist ein Rückzugsgefecht.
Rückzugsgefechte aber sind nicht unsere Aufgabe: „Geht und lehret alle Völker!“ ist mit „Verhindert das Schlimmste wenigstens für eine Weile“ unzureichend umgesetzt.

Die Antwort auf beide Probleme ist meiner Meinung nach die Evangelisation. Christus muss bekannt gemacht werden. Und darunter verstehe ich nicht, dass man um Ihn und seine Gebote weiß, sondern dass man ihn kennt und dann früher oder später Ihn und seine Gebote versteht. Werte ergeben sich dann automatisch. Und ich stelle fest, dass ich dieser Aufgabe nicht gewachsen bin. Diskutieren erscheint mir dagegen wie eine leichte Fingerübung. Ich weiß zumindest um einen Teil meiner Fehler und Sünden und erkenne mich ganz realistisch als unqualifiziert. Und doch ist genau das meine Aufgabe: Christus bekannt zu machen. Ich zögere und fühle mich unsicher, schäme mich und ducke mich weg. Da muss ich auf einen Boden, der nicht zu tragen scheint!
Vorgemacht hat es mir Petrus: er ging aufs Wasser, als Christus ihn rief. Und er wurde hochgezogen, als sein eigener Glaube nicht ausreichte. Für mein Empfinden ist genau das von mir verlangt: etwas zu tun, das gar nicht klappen kann, weil ich um das Gewicht meiner Sünden weiß. Doch der heutige Petrus ruft mich immer und immer wieder genau dazu auf: geht und evangelisiert! Jeder auf seine Weise und mit seinem Maß an Glauben, aber geht! Ich bete um den Mut zum Gehorsam.

Sonntag, Oktober 02, 2016

Aberglaube in der Messe

Um es gleich vorab zu sagen: nein, ich bin kein Gegner des Friedensgrußes in der Messe. Er gehört für mich dazu. Manche verweigern ihn, mit einer sauertöpfischen Miene liturgischer Überlegenheit im Gesicht – nun ja. Jedem das Seine. Manchmal muss halt erst Frieden mit dem Ritus geschlossen werden.
Was mir aber wirklich auf den Senkel geht – und da wünschte ich mir einmal eine sehr deutliche Predigt zu: der Aberglaube, der dort sichtbar wird. Denn so gut wie keine Messe vergeht, in der nicht irgendjemand plötzlich mit einem leicht verlegenen Grinsen im Gesicht seine Hand zurückzucken lässt: beinahe wäre es passiert! Die ultimative Katastrophe, wenn sich zwei Paare über Kreuz die Hände geben. Über Kreuz – das bringt Unglück! Das tut man nicht. Natürlich glaubt man nicht an solche Dinge, aber vielleicht kann man ja nie wissen und überhaupt. Das tut man nicht und Ende.
Für mich eine Profanisierung des Friedens, der von Gott kommen soll. Er wird auf ein Getue zusammengestutzt und von Regeln beherrscht, die mit Gott nicht nur nichts zu tun haben, sondern ihm geradezu entgegenstehen: Aberglaube. Denn nichts anderes ist die Vermeidung des Kreuzes, die letztlich aussagt, dass das Heilsgeschehen etwas Unheimliches an sich hat. Am besten kreuzt man noch hinter dem Rücken zwei Finger, wenn man jemandem den Frieden wünscht, den man nicht leiden kann, selbstverständlich nachdem man festgestellt hat, dass kein anderes Paar querschießen will.
Ich habe es versucht und maximal ein oder zwei Mal ansatzweise hinbekommen: den Frieden über Kreuz zu wünschen. Keine Chance. Zudem ein dummer Versuch, denn so mache ich dasselbe, nur anders herum, aber willentlich und bewusst. Das bringt nicht weiter.
Vielleicht wirklich einmal ein paar Worte von der Kanzel dazu: Aberglaube, und seien es die kleinsten Rituale, haben in der Messe nichts verloren, denn hier geht es um die Wahrheit, die uns geschenkt wird, wie auch der Friede, den sie mit sich bringt. Ein Friede, der in unseren Herzen aufgehalten wird, aber nicht von einer Armstellung beim Händeschütteln.
Jetzt stehe ich womöglich ziemlich allein mit dieser Ansicht. Viele mögen das für harmlos halten und meine Reaktion für übertrieben; andere wissen noch genauer, warum sie den Friedensgruß ablehnen. Ich kann es nicht ändern. Einen Tipp habe ich zumindest noch für alle, die weiter bei ihren gesellschaftlichen Ritualen bleiben wollen: seid großzügig, wie die Schrift es fordert. Denn: